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Wales

Der kleine Widerstandskämpfer ist wieder da

Durch die Erfolge des Nationalteams ist in Wales ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl gewachsen. Das zeigt sich mit dem Lied von Dafydd Iwan, das zur inoffiziellen Hymne der Waliser geworden ist.
Bild: KEYSTONE/AP/THANASSIS STAVRAKIS

Als Dafydd Iwan vor seinem Mikrofon steht, kann er die Tränen nicht zurückhalten. Die walisische Nationalmannschaft wird an diesem Abend im März die Halbfinalpartie der WM-Qualifikationsplayoffs gegen Österreich 2:1 gewinnen und damit den zweitletzten Schritt nehmen, um in Katar erstmals seit 64 Jahren und erst zum zweiten Mal überhaupt an einer Weltmeisterschaft dabei zu sein. Doch bevor es auf dem Feld losgeht, singt Musiker Iwan "Yma o Hyd", ein Lied, das er vor fast vierzig Jahren geschrieben hat. Damals, 1983, war es einfach ein Lied über Wales, über die walisische Identität, politische Unterdrückung und die Sprache, mit der Botschaft, trotz allem, was die walisische Bevölkerung habe durchmachen müssen, sei sie "immer noch hier", was die Übersetzung des Titels ist.

Als Iwan nun beim Singen seines Liedes im ausverkauften Stadion in Cardiff von über 36'000 Menschen begleitet wird, realisiert er, welche Bedeutung es für sie inzwischen angenommen hat. "Yma o Hyd" ist zur Hymne des walisischen Fussballs geworden, die vor den Spielen der Nationalmannschaft inbrünstig zum Besten gegeben wird.

Die "Sons of Speed"

Denn die Geschichte des kleinen Landes mit gerade einmal rund 3 Millionen Einwohnern, die sich gegen den Rest der Welt behaupten, lässt sich auch wunderbar auf den Fussball übertragen. 1958, bei der ersten WM-Teilnahme in Schweden, war Wales nur dabei, weil sich andere Teams zurückgezogen hatten und sich die Waliser in einer Playoffpartie gegen Israel durchsetzten. Ein gewisser Pelé in den Reihen des späteren Weltmeisters Brasilien setzte dem Abenteuer Wales’ ein Ende mit seinem 1:0-Siegtreffer im Viertelfinal.

Seither hatte Wales vergeblich versucht, sich wieder für eine WM zu qualifizieren. 1986 und 1994 scheiterten sie dabei erst im letzten Spiel der Qualifikation. Dass die Türe zu den grossen Turnieren stets verschlossen schien, verleitete die Fankurve einst dazu, während den Spielen zu singen "We’ll never qualify", wir werden uns nie qualifizieren. Als Wendepunkt wird gemeinhin die Anstellung von Gary Speed als Nationaltrainer angesehen. 2010 übernahm er Wales auf Position 117 der Weltrangliste.

Eine Teilnahme an einem grossen Turnier schien utopisch, doch Speed trieb eine Professionalisierung voran, welche Wales aus dem Niemandsland kontinuierlich nach oben und 2016 gar bis in den Halbfinal der EM bringen sollte. Speed war nur ein knappes Jahr im Amt. Im November 2011 nahm er sich das Leben. In der kurzen Zeit hatte der damals 42-Jährige aber das Fundament gelegt, auf dem Wales seine Erfolge aufbauen kann. Neben fussballerischen Dingen legte Speed Wert auf den Teamzusammenhalt. Dass die Spieler die Wörter der walisischen Nationalhymne kennen, beispielsweise. Noch heute werden die Nationalspieler bisweilen als "Sons of Speed", Speeds Söhne, bezeichnet, was illustriert, wie gross der Einfluss des Trainers auf das walisische Selbstverständnis trotz der kurzen Wirkungszeit war.

Zwiespältig und emotional

In den 1970er Jahren wurde Dafydd Iwan mehrmals inhaftiert, weil er Strassenschilder, auf denen ausschliesslich in Englisch geschrieben war, mit der walisischen Entsprechung ergänzt und somit in den Augen der Behörden "verunstaltet" hatte. Heute spricht zwar nur rund ein Fünftel der Bevölkerung fliessend Walisisch. Der Stolz auf die Geschichte und das kulturelle Erbe ist aber gross wie nie, was sich gerade in den Momenten manifestiert, wenn Dafydd Iwans Song von den Tribünen hallt. Oder wenn der nationale Fussballverband plant, dass Wales in Länderspielen künftig nach dem walisischen Namen "Cymru" genannt wird.

Wie gross das Begeisterungspotenzial der Bevölkerung ist, zeigte sich nicht zuletzt im ersten Gruppenspiel der Euro 2016, als die Mannschaft gegen die Slowakei von 30'000 Fans nach Bordeaux begleitet wurde. In Katar werden es weniger sein. Rund 3000 Waliserinnen und Waliser werden im Wüstenstaat erwartet.

Auch Dafydd Iwan nimmt die Reise auf sich. Er empfindet zwar Zwiespalt ob der Menschenrechtslage, der Korruption, der Unterdrückung und Verfolgung von Minderheiten. Die Liste an Verwerfungen Katars, die für einen Boykott des Turniers sprechen könnten, ist lang. Doch seine emotionale Bindung zu Wales und der Nationalmannschaft ist stärker. Und wenn vor der Partie am Montag gegen die USA das erste Mal "Yma o Hyd" durchs Ahmad Bin Ali Stadion in Doha hallt, wird er wohl wieder emotional werden. Denn Wales ist immer noch hier, dabei, am Konzert der Grossen. Trotz allem. (sda)

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