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Wie schlimm muss es werden?

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Dass wissenschaftliche Erkenntnisse uns nicht dazu bewegen, den Klimawandel als echte Krise zu behandeln, macht mich traurig, wütend und verzweifelt. Ich habe jedoch meine Erwartung aufgegeben, dass wir auf Basis dieser Erkenntnisse handeln. Klimawissenschaft ist zu vergleichen mit den grotesken Bildern auf Zigarettenpackungen. Sie erinnert uns daran, dass unser Handeln schädlich, vielleicht sogar tödlich ist, aber sie erreicht uns nicht emotional, und nur wenige Menschen handeln ihretwegen. Gehandelt wird oft erst, wenn eine nahestehende Person oder man selbst betroffen ist.

Ich hoffte darum, dass, wenn wir die ersten Zeichen des Klimazusammenbruchs mit eigenen Augen sehen, wir dann endlich die Klimakrise als Krise behandeln. Als 2020 in Australien die Wälder brannten, ein Ereignis das 80 Prozent der australischen Bevölkerung beeinträchtigte und das Leben von 3 Milliarden Tieren auslöschte, dachte ich: «Dies wird uns wachrütteln.» Leider war das nicht so. 2021 kamen die Hitzekuppel in West-Kanada und die zerstörerischen Fluten in Deutschland. Diese katastrophalen Ereignisse waren uns näher, in unserer Klimazone, in unserem Nachbarland. Aber auch diese wurden schnell vergessen, und wir handelten nicht. Im Sommer 2022 hatten wir dann gleichzeitig eine Hitzewelle in Europa, Nordamerika und Asien. Das alle drei Kontinente gleichzeitig eine Hitzewelle durchmachen, ist noch nie vorgekommen, und auch die Temperaturen haben Rekorde übertroffen. In Europa hatten wir durch die Hitzewelle eine Übersterblichkeit von 107000 Menschen von Juni bis August 2022. Zum Vergleich: Covid-19 hat in Europa 2020 zu einer Übersterblichkeit von zirka 150000 in drei Monaten geführt. Covid-19 löste eine Krisensituation aus, die Hitzewelle nicht. Ja, es war jeden Tag in den Nachrichten, aber der Fokus war, wie wir mit der aktuellen Hitzewelle umgehen, und nicht, wie wir schlimmere Hitzewellen in der Zukunft verhindern können. Wir nehmen die Klimakrise noch immer nicht als Krise wahr, in der wir heute handeln müssen.

Manchmal schauen wir auch einfach weg. Die Monsunfluten in Pakistan betreffen 33 Millionen Menschen und legten ein Drittel des Landes unter Wasser. «10vor10» und die «Tageschau» haben nur 6-mal darüber berichtet, 10 Minuten und 53 Sekunden lang. Das Horn von Afrika leidet seit Januar 2021 unter einer Rekorddürre; vier Regenzeiten sind ausgefallen, und viele mussten ihr Zuhause auf der Suche nach Nahrung verlassen. 88 Million Menschen sind betroffen, Hunderttausende Nutztiere sind verendet. Seit Februar 2021 hat die «Tageschau» viermal darüber berichtet, 9 Minuten und 21 Sekunden lang. Ja klar, das Medieninteresse ist klein, weil uns Ukraine und Energiekrise im Moment enorm beschäftigen. Wirklich? Denn über den Tod der Queen haben die «Tagesschau» und «10vor10» in nur elf Tagen 14-mal berichtet, 66 Minuten und 9 Sekunden lang. War der Tod einer Monarchin wirklich 6-mal wichtiger als diese humanitären Krisen? Sind uns die Folgen des Klimawandels im globalen Süden egal oder sogar unangenehm? Wollen wir uns nicht schuldig fühlen?

Wie schlimm müssen die Auswirkungen des Klimawandels sein, damit unsere Regierungen sie als akute Notsituation erkennen und schnell, sofort und radikal handeln? Wann erreichen wir den sozialen Kipp-Punkt, wo genügend Leute unsere Politik auffordern, mehr zu tun, und zwar sofort, und wir die Klimakrise als echte Krise behandeln? Eine Umfrage der Uno hat 2021 gezeigt, dass 64 Prozent der Befragten Klimawandel als einen Notstand sehen und dass 59 Prozent glauben, dass wir alles Nötige tun und mit Dringlichkeit anpacken sollen. Trotzdem agieren unsere Regierungen im Schneckentempo. Warum? Nur ein ganz kleiner Teil dieser 59 Prozent rufen unsere Regierungen und Konzerne aktiv dazu auf, mit Dringlichkeit zu handeln. Allen anderen scheint es egal zu sein, dass zu langsam gehandelt wird. Wenn Sie zu diesen 59 Prozent gehören, warum sind Sie nicht engagiert? Warum gehen Sie nicht an Klimaproteste oder schliessen sich einer Klimagruppe an? Wir brauchen Sie, denn im Moment sind wir noch zu wenige, um die Regierungen und Konzerne zu entschiedenem Handeln zu bewegen.

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