notifications
Region

Standort der «Dargebotenen Hand» bleibt geheim

Wer in Innerschwyz Telefon 143 wählt, landet bei der «Dargebotenen Hand Zentralschweiz» in Luzern. Knapp 60 ehrenamtliche Ratgeber nehmen sich hier den Problemen ihrer Anrufer an. Kein einfache Aufgabe, wie unsere Reportage zeigt.
In ihrem Luzerner Büro erreichen die «Dargebotene Hand» jährlich rund 14'000 Anrufe. Im Bild: Ines Frey, Verantwortliche Aus- und Weiterbildung. (Bild: Pius Amrein, Luzern, 21. August 2018)

Lucien Rahm

In einer Stadtluzerner Vierzimmerwohnung, deren Standort geheim gehalten werden muss, befindet sich das Zentralschweizer Büro der Telefonberatung «Dargebotene Hand». Von hier aus widmen sich professionelle Berater im persönlichen Gespräch den Sorgen ihrer Anrufer. Die meisten melden sich aus der Zentralschweiz, andere Büros können aber Anrufe ebenfalls hierhin weiterleiten, wenn sie besetzt sind.

Die Gesprächsthemen reichen von weniger gravierenden Alltags- über Beziehungsproblemen bis hin zu Suizidabsichten. Auch Opfer von häuslicher Gewalt melden sich hier. Unter anderem deshalb müsse er seine Mitarbeiter und ihren genauen Arbeitsort anonym halten, sagt Geschäftsführer Klaus Rütschi. «Manche Leute sprechen Morddrohungen gegenüber unseren Beratern aus.»

Die Gespräche, die an einem Pult in einem der vier Zimmer geführt werden, erfordern «Personen, die mit beiden Beinen im Leben stehen», wie es Ausbildnerin Ines Frey formuliert. Rütschi spricht bezüglich der knapp 60 ehrenamtlichen Beratern von einem «eigenen Schlag von Leuten». In der Regel leisten sie je eine Schicht à vier bis sechs Stunden pro Woche, sodass das Sorgentelefon rund um die Uhr besetzt werden kann.

Um die Gespräche so führen zu können, dass sie ihren Zweck erfüllen, müssen die Mitarbeiter die passenden Eigenschaften aufweisen. Man achte bei der strengen Auswahl darauf, dass die künftigen Berater gut mit Menschen umgehen können, Ruhe ausstrahlen – auch mit ihrer Stimme – und selber bereits über einen gewissen Erfahrungsschatz hinsichtlich schwieriger Lebenssituationen verfügen.

«Wenn sie bereits eigene Krisen gut gemeistert haben, können sie auch jene anderer besser verstehen», sagt Rütschi. Ausserdem sei wichtig, dass Berater politische oder religiöse Ansichten nicht in die Gespräche einfliessen lassen. Auch Esoterik habe in ihrem Betrieb nichts verloren. Der berufliche Hintergrund sei hingegen nicht entscheidend. «Unter unseren Beratern gibt es einen Gärtner, Landwirt, Polizisten, Zahnarzt, Anwalt oder auch einen pensionierten Millionär», zählt Rütschi auf. Die jüngste Beraterin ist 40 Jahre alt, in der Regel sind sie zwischen 55 und 65.

Berater müssen sich auch selbst schützen

In ihrer Schulung lernen die künftigen Berater auch, wie sie ein Gespräch in einer Notfallsituation führen müssen. In drei Prozent der jährlich rund 10'000 Beratungstelefonate äussern die Hilfesuchenden Selbstmordabsichten. «Unsere Berater wissen, wie so eine Absicht psychologisch abläuft», sagt Rütschi. Wer vielleicht Job und Partner verliert und dazu auch noch Schulden habe, für den möge ein Suizid als einziger Ausweg erscheinen.

«Die Person ist dann wie in einem Tunnel.» Die Berater machen einen Anrufer unter anderem auf die Konsequenzen einer Selbsttötung aufmerksam, an die er im Moment vielleicht nicht denkt. «Oder sie zeigen etwas Lebenswertes auf.» So hinterfrage der Anrufer seinen Plan vielleicht nochmals. «Und am nächsten Tag sieht es schon wieder anders aus.»

«Gerade bei einer Suizidabsicht weiss man nicht, was die Person nach dem Telefongespräch letztlich macht.»

Ines Frey, Verantwortliche Aus- und Weiterbildung

 

Doch Berater müssen nicht nur die Anrufer, sondern auch sich selbst schützen. «Gerade bei einer Suizidabsicht weiss man nicht, was die Person nach dem Telefongespräch letztlich macht», sagt Ausbildnerin Ines Frey. Obwohl man davon ausgehe, dass man einen Selbstmord für den Moment verhindern könne, bleibe eine Ungewissheit zurück.

Den Umgang mit solchen Gefühlen und anderen belastenden Fällen erlernen die Berater ebenfalls in ihrer Grundausbildung. Bei Bedarf können sie sich auch an Frey oder Rütschi wenden, um das Erlebte im Gespräch zu verarbeiten.

«Dieser Rückhalt ist für mich extrem wichtig», sagt Yvonne Bach *, die seit etwa vier Jahren als Beraterin tätig ist. Die «extremen Dinge», von denen die 59-Jährige bei ihrer Tätigkeit hört, kann sie in der Regel «hier lassen». Dazu trage die Anonymität bei, die während der Gespräche gewahrt bleibe, sowie die räumliche Trennung von Zuhause und Beratungsbüro. In früheren Jahren fanden die Telefonate oft von daheim aus statt.

Eigene Erfahrung als wichtige Stütze

Ihr komme zudem ihr eigener «Erfahrungsrucksack» zugute, sagt Beraterin Bach. Denn sie hat in ihrem Leben selbst tragische Dinge erlebt, die sie traumatisiert zurückliessen. Mittlerweile hat sie diese bewältigt. Ihre Erfahrungen möchte sie nutzen, um anderen in Krisensituationen zu helfen. «Auch, um meinen Erlebnissen einen Sinn zu geben.»

«Die Berater-Tätigkeit löst in mir eine grosse Genugtuung aus. Es tut meinem Herzen und meiner Seele gut.»

Berater der Dargebotenen Hand

 

Markus Baumann * befindet sich derzeit auf dem 200-stündigen Weg zum Berater. Der frühpensionierte Verkaufsleiter aus der Industrieelektronik-Branche hatte viel mit den Kunden seines ehemaligen Arbeitgebers zu tun. Dabei habe er sich viel Empathie aneignen können. Dieses Einfühlungsvermögen will der 64-Jährige weiterhin sinnvoll einsetzen und fand so zur «Dargebotenen Hand».

Er wolle auf diesem Weg auch etwas zurückgeben – «als Dank für das, was ich erleben durfte». Die Tätigkeit löse in ihm eine grosse Genugtuung aus. «Es tut meinem Herzen und meiner Seele gut.» So, wie idealerweise auch den Anrufern. «Eine Win-Win-Situation», sagt Baumann.

* Name von der Redaktion geändert.

Hinweis: Weitere Infos zur «Dargebotenen Hand» finden Sie auf ihrer Webseite. Die Berater sind unter der Telefonnummer 143 jederzeit erreichbar.

Hinweis: Am Donnerstag, 6. September, 19 Uhr, findet im Hotel Waldstätterhof in Luzern ein Informationsabend für Personen statt, die sich für eine Beratertätigkeit bei der «Dargebotenen Hand» interessieren.

Chat-Beratung steigt stark an

Seit zehn Jahren können Ratsuchende auch per Chat mit der «Dargebotenen Hand» in Kontakt treten. Diese Form der Kommunikation ist immer beliebter: Waren es 2016 sechs Prozent der insgesamt 14'000 Zentralschweizer Anfragen, trafen 2017 schon zwölf Prozent davon per Chat ein. «Und die Zunahme setzt sich fort», sagt Geschäftsleiter Klaus Rütschi.

Im Chatroom dominieren etwas andere Themen als am Telefon. Hier geht es mehr um tabuisierte Themen wie sexuellen Missbrauch oder Geschlechtsumwandlung. «Solche Dinge sind für manche einfacher zu schreiben als zu sagen», so Ausbildnerin Ines Frey. Der deutschsprachige Chat wird seit Juni einmal wöchentlich von Luzern aus betrieben, daneben arbeiten auch andere Büros der Deutschschweiz mit. (lur)

Kommentare (0)