«Die Klima- und die Biodiversitätskrise sind die einzigen globalen Probleme, welche ein Ablaufdatum haben. Das Richtige zu spät zu tun, bringt leider keine Resultate», hat Cristiana Figueres letztens im Klima-Podcast «Outrage and Optimism» gesagt. Damit hat sie auf die Klima-Kipppunkte aufmerksam gemacht. Wichtige Komponenten unseres Erdsystems können in einen anderen Zustand kippen, wenn die Klimaerwärmung bestimmte Werte überschreitet.
Die Kipppunkte funktionieren wie ein Jenga-Spiel. Mit jedem Zehntelgrad Erwärmung oder mit jedem Block, den wir aus dem Jenga nehmen, wird das Erdsystem oder der Jenga-Turm instabiler. Und irgendwann fällt der Turm dann um, oder das System verändert sich und bricht in sich zusammen. Wann genau dies passiert, wissen wir weder bei Jenga noch bei den Kipppunkten genau. Wir können jedoch Prognosen machen, wann es kritisch wird.
Fünf Kipppunkte sind jetzt schon am Wackeln, und die neueste Forschung sagt, dass vier davon wahrscheinlich bei zirka 1,5° C Erwärmung kippen. Dazu gehört die atlantische Ozean-Zirkulation, welche uns mit dem Golfstrom in Europa ein warmes Klima beschert. Diese Zirkulation hat in den letzten 50 Jahren um 15 Prozent abgenommen – wenn sie fast oder ganz ausfällt, könnte das eine kleine Eiszeit für Europa bedeuten. Ein zweiter Kipppunkt sind die Permafrostböden, welche, wenn sie auftauen, CO 2 und Methan in die Atmosphäre abgeben und damit zu mehr Klimawandel und mehr Auftauen der Permafrostböden beitragen. Wenn das passiert, dann ist eine Teufelsspirale in Gang gesetzt, und wir können den Klimawandel nicht mehr aufhalten, auch wenn wir mit unseren Emissionen auf null herunterfahren. Das Richtige zu spät zu tun, bringt leider keine Resultate …
Es gibt zwei grosse Unterschiede zwischen Jenga und den Klima-Kipppunkten. Ein Jenga-Spiel können wir immer wieder aufbauen und in den Ursprungszustand zurückbringen. Bei unserem Erdsystem aber wird eine Veränderung nicht umkehrbar sein. Beim Jenga müssen wir weiterspielen, bis der Turm fällt, bei den Klima-Kipppunkten müssen wir aus dem Spiel aussteigen, bevor das passiert. Denn wenn der Turm fällt, dann haben wir alle verloren. Wir müssen also so schnell wie möglich mit Spielen aufhören.
Als Erster mit Spielen aufhören will jedoch keiner. Es ist viel einfacher, zu sagen, der Nachbar, die Politiker, die in den USA und China etc. sollten doch zuerst mal was tun, bevor ich mein eigenes Leben umkremple. Aber wir sind an einem Punkt angekommen, wo jede und jeder, der nichts unternimmt, uns fahrlässig auf Kipppunkte zusteuert. Das optimistischste Zukunftsszenario besagt, dass wir irgendwo bei ~1,8° C Erderwärmung landen können. Mit dem heutigen Handeln und geltenden Gesetzen werden wir ~2,7° C erreichen und damit sicher mehrere Kipppunkte überschreiten. Wir müssen also echt die Ärmel hochkrempeln, und zwar wir alle.
Zum Glück gibt es aber auch soziale Kipppunkte: Sobald genügend Leute etwas Neues machen, dann satteln auf einmal alle andern auch um, und zwar sehr schnell. Diese Kipppunkte sind unsere Hoffnung, um die Kipppunkte im Erdsystem noch zu vermeiden. Dazu braucht es Vorreiterinnen, Trendsetter und visionäre Personen, die als Erste Klimaschutz betreiben. Darum meine Bitte an Sie: Suchen Sie sich eine Veränderung aus, die Ihnen nicht zu schwerfällt, und setzen Sie diese um – mit dem Velo, E-Bike oder ÖV zur Arbeit oder mit dem Zug in die Ferien, vegetarisch oder vegan essen, mit Solar auf dem Dach heizen, secondhand Kleider kaufen, sich für politischen Wandel engagieren, von Arbeitgeber, Bank oder Pensionskasse mehr Klimaschutz verlangen oder den Job wechseln –, um aktiv am Klimaschutz zu arbeiten! Etwas ist für jede und jeden mit drin. Und somit nehmen wir alle dieses Jahr mindestens einen Jenga-Block weniger aus dem Turm. So wird Klimaschutz zur neuen Norm, und wir können zusammen aus diesem gefährlichen Spiel aussteigen, bevor der Turm fällt.
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