Stephanie Zemp
Bis ins 16. Jahrhundert ist die Marroni ein wichtiges Nahrungsmittel für die Schweizer Bevölkerung gewesen. Vor allem bei den armen Leuten. Dann kam die kleine Eiszeit. «Die Temperaturen sind um zwei Grad gesunken, weshalb die Bäume weniger Früchte trugen», erklärt Emanuel Helfenstein. Der Forstingenieur koordiniert das Projekt «Restaurierung von Kastanienhainen in der Zentralschweiz». «Ausserdem wurden Verkehrswege erschlossen, was der Kartoffel Einzug gebot.»
Deshalb geriet die Edelkastanie immer mehr in Vergessenheit. Dass sie jedoch auch auf der Alpennordseite angebaut und genutzt wurde, davon zeugen alte Kastanienbäume rund um den Vierwaldstättersee. «Man sieht bei alten Bäumen Verdickungen, was auf gezielte Veredelung hindeutet», so Helfenstein. «Im Gegensatz zum Tessin ist die Kultivierung in unserer Region jedoch kaum schriftlich dokumentiert.»
Klonen von resistenten Sorten
Um diese Kultur wieder aufleben zu lassen, hat die Interessengemeinschaft (IG) Pro Kastanie Zentralschweiz gemeinsam mit Bund und Kanton Schwyz ein Projekt initiiert. Mit Helfenstein als Koordinator zielt es darauf ab, bestehende Haine in der Innerschweiz aufzuwerten und alte Lokalsorten zu erhalten.
Einer, der massgeblich dazu beiträgt, ist Toni Sidler. Der Baumschulist aus Küssnacht beherbergt über tausend Edelkastanien, darunter vierzig alte Lokalsorten. Sidler ist in der IG zuständig für die Aufzucht und Vermehrung. Jedes Jahr schneidet er einjährige Triebe von erhaltenswerten Mutterbäumen ab und setzt sie auf einen neuen Spross. Dieser Vorgang wird Veredelung genannt. «Damit entsteht ein Klon mit identischem Erbgut des Mutterbaums», erklärt Sidler. Ein wichtiges Kriterium bei der Wahl des Mutterbaums sei die Krankheitsresistenz. Denn: Kastanienbäume dürfen nicht bespritzt werden, da sie als Waldbaum gelten. Deshalb setze man auf die Zucht von robusten Bäumen. Und genau deshalb sind alte Lokalsorten so wichtig: Sie haben über Jahrzehnte allen Widrigkeiten getrotzt. Ihren erbidentischen Nachkommen soll es ebenso ergehen.
Wenn die gezüchteten Jungbäume genügend ausgewachsen sind, zügeln sie von der Baumschule in die freie Natur. «Die Standortwahl ist für den Erfolg entscheidend», sagt Sidler. Die bestehenden Kastanienhaine seien prädestiniert für die Auspflanzung. Dass rund um den Vierwaldstättersee in diversen Gebieten Edelkastanien wachsen, ist einerseits auf den Föhneinfluss zurückzuführen. Wichtiger als das Klima ist jedoch der Boden: «In Küssnacht sind wir wegen der Rigi im Windschatten des Föhns, doch dank dem Moränenboden gedeihen die Kastanienbäume sehr gut.» Zurzeit warten 30 veredelte Jungbäume darauf, im «Sennpetri» in Merlischachen eingesetzt zu werden. «Aufgrund des warmen Herbsts müssen wir noch zuwarten», so Sidler. Erst wenn die Bäume Anfang Dezember alle Blätter verloren haben, werden sie ausgepflanzt.
Besonders gutes Holz
Die IG hat in der Zentralschweiz seit 2008 auf rund 20 Hektaren Land Edelkastanien ausgepflanzt. Bis diese den vollen Fruchtertrag erreichen, dauert es etwa zehn bis fünfzehn Jahre. Dann können sie zum Beispiel zu Mehl oder Vermicelles verarbeitet werden.
Die alten lokalen Sorten gehören nicht zu den ertragreichsten wie gewisse italienische oder französische Sorten, räumt Sidler ein. Sollte die Kastanie zukünftig wieder mehr Wert in der Ernährung erhalten, könne man aber die alten Sorten gezielt mit ertragreichen Sorten bestäuben und so gesunde Bäume mit vielen Früchten heranzüchten.
Neben den Früchten zeichnet sich die Castanea sativa, wie der botanische Name des Marronibaumes lautet, durch enorm witterungsbeständiges Holz aus. «Es eignet sich besonders gut für den Aussenbereich wie Bänke, Spielplätze oder Brunnen», versichert Sidler.