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Unteriberg

So wird bei Wendy Holdener gefeiert

Wenn ihre Verwandtschaft Weihnachten feiert, ist Wendy Holdener schon wieder im Wettkampfmodus. Daran hat sich die 24-jährige Unteribergerin längst gewöhnt. Doch am Heiligabend wird es auch bei der Schweizer Sportlerin des Jahres besinnlich.
Wendy Holdener posiert in einem Hotel beim Weltcup in St. Moritz Anfang Dezember.
Bild: Jean-Christophe Bott (Keystone)

Claudio Zanini

Immer am 25. Dezember versammelt sich die gesamte Holdener-Verwandtschaft zum gemeinsamen Weihnachtsfest. Und fast so traditionell ist dabei die Abwesenheit von Wendy Holdener. Denn für ausgedehnte Besinnlichkeit hat es im Weltcup-Kalender leider wenig Platz. Nervt das nicht, wenn man jedes Jahr das grosse Fest verpasst? «Klar wäre ich gerne dabei», sagt die Schwyzerin aus Unteriberg, «zeitlich passt es leider meistens nicht, doch daran habe ich mich gewöhnt.»

Trotz der vollen Agenda um diese Jahreszeit: Auch eine Wendy Holdener verbringt Heiligabend zu Hause bei ihrer Familie, isst mehrgängig, geht in die Kirche und packt Geschenke aus. «Ich gehe meistens mit meinem Dädi in die Kirche. Meine Mutter kommt später nach Hause, da sie in einer Metzgerei arbeitet und es am 24. Dezember halt viel zu tun gibt. Dann essen wir gemeinsam.» Nach dem Essen folgt ein Spaziergang für die ganze Familie, bevor es Geschenke gibt.

Der Spaziergang ist nicht als sportliche Einlage zu verstehen, sondern ein Überbleibsel aus der Zeit, als die Geschenke noch auf mystische Weise den Weg unter den Tannenbaum fanden. Damals mussten die Kleinkinder nach draussen, sodass das Christkind ungesehen seine Arbeit verrichten konnte. «Früher war das Essen kurz, der Spaziergang mühsam und die Bescherung lang. Heute ist das Essen lang, der Spaziergang tut gut, und die Bescherung ist kurz», sagt Holdener.

Geschenke hat sie natürlich auch organisiert, eines sei ein ganz «cooles». Es ist für eine Teamkollegin bestimmt – die Athletinnen wichteln sich gegenseitig. «Es war zwar eher teuer. Aber weil es so perfekt war, musste ich es einfach kaufen.» Was es genau ist, behält sie dann doch für sich. Auf Selbstgebackenes können die Ski-Kolleginnen aber nicht hoffen. «Ich nehme mir eigentlich nie Zeit, um Guetzli zu backen.» Selbst hegt sie keine materiellen Wünsche. «Das Wichtigste ist, dass es den Leuten, die ich gerne habe, gut geht.»

St. Moritz hatte eine Königin

Die grössten Geschenke hat sich Holdener 2017 ohnehin selbst gemacht. Zurück liegt ein Jahr, das kaum hätte besser ausfallen können. Im Februar stieg sie zur «Skikönigin von St. Moritz» auf, wie sie von der NZZ betitelt wurde. Holdener war der Sprung in die oberste Etage des alpinen Skisports gelungen. Sie wurde Kombinationsweltmeisterin und gewann die WM-Silbermedaille im Slalom. «Die WM war ganz klar der Höhepunkt.

Die beiden Medaillen empfand ich als sehr unterschiedlich. Kombi-Gold wurde von mir nicht unbedingt erwartet, daher war es mehr ein Ausflippen als bei der Slalom-Medaille. Dort war es vielmehr ein Müssen.» Manchmal schaute sie sich wieder die Aufzeichnungen der WM an, die Emotionen waren sofort wieder da. «Alles in allem erlebte ich in St. Moritz einfach zwei perfekte Wochen.»

Mit den beiden Medaillen wurde Holdener ein wenig unerwartet zum Schweizer WM-Star, eine Funktion, die ja vor den Titelkämpfen eigentlich für Lara Gut vorgesehen war. Für die Tessinerin wurde mindestens zweimal Edelmetall budgetiert. Die Geschichte ist unlängst bekannt: Gut zog sich beim Aufwärmen für den Kombinationsslalom einen Kreuzbandriss zu, eine üble Laune des Schicksals, der Karriere-Tiefpunkt zur Unzeit.

Holdener vertrat Gut aber nicht nur als Königin von St. Moritz, sie beerbte die Speed-Spezialistin überdies vor zwei Wochen als Schweizer Sportlerin des Jahres – selbstredend eine riesige Ehre. Und wer Holdener in den zahlreichen Interviews nach der Preisverleihung reden hörte, erkannte, dass sich an diesem Abend im SRF-Fernsehstudio ein Traum erfüllte. Den Gewinn dieser Trophäe hatte sie sich früh in den Kopf gesetzt: Schon als kleines Kind verfolgte sie die Veranstaltung und entschied für sich, eines Tages die Auszeichnung zur landesweit besten Sportlerin selbst zu gewinnen.

Aber Holdener sagte eben auch etwas Erstaunliches nach der Verleihung: «Der Preis gibt mir Schub für mein Selbstvertrauen.» Und reflexartig fragte sich wohl der eine oder andere, warum das Ego einer zweifachen WM-Medaillen-Gewinnerin denn überhaupt noch Zuwachs benötigt? Da war ja nicht nur die vorbildliche Ausbeute in St. Moritz, sondern noch mehr Erfolg: In der Saison 2016/17 stand sie bei total neun Slaloms sechsmal auf dem Podest.

Das Loch Ende November

Der Grund für die verloren gegangene Selbstverständlichkeit liegt in diesem Winter, genauer in Killington Ende November. Nach einem ansprechenden Saisonstart und dem 3. Platz im Slalom von Levi schüttelte es Holdener ein wenig durch in Nordamerika: Im Slalom schied sie im zweiten Lauf aus, im Riesenslalom reichte es nur für einen 19. Platz. Holdener war überhaupt nicht zufrieden und machte auch gar keinen Hehl daraus. «Nach Killington war ich in einem Loch», sagt sie. Es folgte eine Auszeit zu Hause, eine Pause die ihr «gut getan» hatte, meint sie rückblickend.
In St. Moritz Anfang Dezember ging es weiter mit dem Heim-Weltcup.

Von drei Rennen fand letztlich mit dem Super-G nur eines statt. Und weil das nicht Holdeners Disziplin ist, war es auch nicht einfach, das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten wiederherzustellen. In Courchevel in dieser Woche ging es aber aufwärts: Platz 9 im Riesenslalom, im Parallelslalom ein 5. Rang. Holdener denkt nicht zu viel an Olympia. «Einen richtigen Plan habe ich mir noch nicht zurechtgelegt. Mein Ziel ist vorerst, dass Rennen fahren wieder normal wird. Und dass ich vorne dabei bin, wenn Olympia beginnt.»

Der nächste Grossanlass naht. In anderthalb Monaten finden die Winterspiele in Südkorea statt. Die Zeit zum Innehalten ist ein bisschen knapp.
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