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Die Gastfreundschaft wird neu bewertet

In meinem letzten Forumsbeitrag im Juni habe ich darüber geschrieben, dass die Gastronomie in den letzten Jahren 20 Prozent ihrer Mitarbeiter verloren hat. 
Im gleichen Zeitraum hat der Branchenverband Gastrosuisse seinen Fünf-Punkte-Plan gegen den Fachkräftemangel in der Gastronomie veröffentlicht. 

1. Förderung des Branchen- und Berufsimages
2. Gezielte Unternehmerschulung zu den Themen Führung und Wertschätzung
3. Sicherstellen des beruflichen Nachwuchses
4. Nachqualifizierung von Branchen-Quereinsteigern
5. Attraktivitätssteigerung bei den Anstellungsbedingungen

Mit diesen fünf Punkten glaubt der Branchenverband, dass die zukünftig benötigten Mitarbeiter gefunden werden. Denn der oben genannte Fünf-Punkte-Plan geht davon aus, dass es zukünftig grundsätzlich genügend Arbeitskräfte gibt, aber die Branche attraktiver gestaltet werden muss.

Die neuste Studie des Wirtschaftsforums Graubünden, der Denkwerkstatt des Kantons, zeigt, dass es andere Massnahmen braucht. Sie belegt eindrücklich, dass im Jahre 2040 (in 18 Jahren!) weitere 20 Prozent Arbeitskräfte fehlen werden. (Im Kanton Graubünden werden 30000 Personen fehlen!) Somit kann der gut gemeinte Fünf-Punkte-Plan der Gastrosuisse höchstwahrscheinlich die Probleme der Branche langfristig nicht lösen, weil zukünftig schlichtweg die Menschen fehlen, die gefördert, geschult, geführt werden, nachwachsen, quereinsteigen und von attraktiven Anstellungsbedingungen profitieren können. 

Es ist also ein präziserer, ergänzender Fünf-Punkte-Plan für die Gastronomiebranche nötig. Dieser könnte wie folgt sein: 

1. Günstige, attraktive und flexible Arbeits-, Wohn-, Familien- und Freizeitmodelle und -angebote
2. Entwicklung neuer, weniger personalintensiver Geschäftsmodelle für die Gastronomie; Förderung digitaler und automatisierter Prozesse beim Gast und bei den internen Abläufen
3. Sensibilisierung der gesamten Wertschöpfungskette, vom Produzenten bis zum Gast, für neue Geschäftsmodelle
4. Erleichterung von Arbeitsbewilligungen für Personen aus Drittstaaten, denn unsere traditionellen europäischen Einwanderungsländer leiden unter derselben demografischen Entwicklung.
5. Bedürfnisgerechte Anstellungsbedingungen für die Generation Baby-Boomer (länger gefragt sein) und Generation Z (sinnstiftende Aufgaben)  

Die Ressource «Mensch» wird künftig also doppelt so knapp sein wie heute, für dasselbe Geschäft. Die zukünftigen gastronomischen Leistungen werden nicht mehr anhand freundlicher  Personal- und hochwertiger Warendienstleistungen bewertet. Die Gastronomen werden zukünftig darauf bewertet, ob das Online-Reservations-, das Tischbestell- und das Zahlungssystem einwandfrei funktionieren, ob die Bestellung in der kommunizierten Zeit serviert oder abgeholt werden konnte oder ob der Gast alle relevanten Informationen zum Restaurantbesuch vorgängig erhalten hat, damit die Erwartungshaltung erfüllt wird und negative Überraschungen ausbleiben. Lage, Öffnungszeiten, eine transparente und nachvollziehbare Preis- und Beschaffungsphilosophie, Atmosphäre und Ambiente, Sitzkomfort oder die Erfüllung  individueller Spezialwünsche werden vom Gast zukünftig stärker gewichtet werden. Dies, weil der Gast oft kein Individuum mehr bewerten kann und deshalb die Systematik rund um die Leistung beurteilen muss. Die Gastfreundschaft wird gezwungenermassen weniger personenabhängig. Dies kann sogar zu objektiveren Beurteilungen führen, denn der «schlechte» Koch und die «hässige Serviertochter» werden nicht mehr schuld sein. – «Kehr ein – geh aus – bleib Freund dem Haus» wird an Bedeutung gewinnen, und das ist gut so!

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