Als ich auf der Suche nach einem Thema für meinen Artikel die Forum-Artikel meiner Mitschreiberinnen und Mitschreiber durchlas, habe ich mich gefragt, warum ich denn überhaupt diesen Artikel schreiben soll. Und, fast noch wichtiger, warum dieser gelesen werden soll. Was ist das, was uns interessiert an den Meinungen anderer? Warum wollen wir wissen, was andere denken, ohne zu wissen, ob sie recht oder unrecht haben? Gibt es überhaupt ein «Rechthaben» in der Meinungsverkündung? Oder hat immer jeder recht? Vielleicht wollen wir auch einfach den Artikel lesen, im besten Wissen, dass der- oder diejenige eben nicht recht hat, um sich dann darüber zu beschweren. Das können wir ja sehr gut, und manchmal habe ich das Gefühl, das Beschweren oder Sich-innerlich-Aufregen ist unser liebstes Hobby.
Sei es, wenn wir uns erwischen, wenn der eigene Parkplatz von jemand anderem benutzt wird. Obwohl wir ihn gerade nicht brauchen, so möchten wir trotzdem nicht, dass der eigene Platz von jemand anderem benutzt wird – so wie früher mit dem eigenen Spielzeug. Oder beim Autofahren im Berufsverkehr, da drückt man extra nochmals aufs Gas, nur damit man dann nochmals bremsen muss, um sich aufzuregen, weil einem der Vortritt genommen wurde und man jetzt ein Auto weiter hinten im Stau steht. Und dies, obwohl man eigentlich gar nicht gerne pünktlich bei der Arbeit sein will. Denn dort warten nur die Kollegen im Büro, welche einem das Joghurt aus dem Kühlschrank essen, welches man sowieso nicht mag, aber sie hätten ja fragen können.
Wenn dann der Nachbar zu Hause noch am Samstagmorgen staubsaugt oder, noch schlimmer, am Sonntag den Rasen mäht, lüpfts einem endgültig den Deckel. Eigentlich ist man zwar wach und aufgestanden, aber Rasenmähen am Sonntag geht einfach nicht. Auch wenn der Nachbar sechs Tage die Woche arbeitet, um die Familie zu versorgen und sich somit nur am Sonntag um den Rasen kümmern kann. Sorry, dann muss er halt den Job wechseln.
Natürlich sind diese Szenen nun etwas überspitzt dargestellt, und die meisten von uns würden sagen, selbst sei man ausgeglichen und offen. Also das Gegenteil von bünzlig. Ich zum Beispiel behaupte das selbstverständlich von mir selbst auch. Trotzdem erwische ich mich manchmal bei meinen eigenen Gedanken, welche so richtig bünzlig sind.
Letzten Sommer zum Beispiel sind im gleichen Wohnhaus, wo ich wohne, ukrainische Flüchtlinge eingezogen. Als sie dann gefragt haben, ob sie meinen Grill in unserem gemeinsam nutzbaren Garten benutzen dürften, habe ich das natürlich sofort bejaht. Ich bin ja offen und kein Bünzli. Als ich aber nach deren Grillabend in den Garten hinausschaute, habe ich mich dann doch darüber aufgeregt, dass sie den Grill am Schluss nicht abgedeckt hatten. Ja, richtig gelesen. Sie haben den Grill nicht abgedeckt. Wie können sie nur? Ebenjene Ukrainer, welche womöglich in der gleichen Minute in ihrer Heimat das Haus im Krieg verlieren, haben meinen Grill nicht abgedeckt.
Gott sei Dank habe ich das nur gedacht und nicht laut gesagt oder etwa in der Zeitung veröffentlicht. Denn im gleichen Satz habe ich mich auch sehr für meinen Gedanken geschämt, musste aber auch ein bisschen schmunzeln über meine eigene Bünzligkeit. Denn solche Gedanken rütteln mich wieder wach und holen mich in die Realität zurück. In eine Realität, in welcher sicher nicht alles rundläuft, und viele Probleme existieren. Und die meisten davon sind von Menschenhand gemacht. Somit versuche ich, täglich toleranter, offener und ausgeglichener durch die Welt zu gehen. Es gelingt mir bei Weitem nicht jeden Tag, aber nur schon die Selbstreflexion hilft, um daran zu arbeiten. Und wer weiss, vielleicht bringt es ja den einen oder anderen Leser dazu, dies ebenfalls zu tun. Oder zumindest sich darüber zu beschweren, weil ich unrecht habe.