Die bekannte schweizerdeutsche Ausdrucksweise höre ich heute noch in der Metzgerei. Geschickt, aber immer höflich, versucht man, mir mehr Fleisch anzubieten. Da ich ein Genussmensch bin, kann ich selten widerstehen. Mit «Darfs es bitzeli meh si?» drückt unsere Gesellschaft seit jeher das gewisse Verlangen nach mehr aus, ohne dabei gierig oder unanständig zu wirken. Oft begleitet von einem freundlichen Ton und einem Lächeln, wird gesagt, dass man gerne noch etwas Zusätzliches anbietet. Wir scheuen uns nicht, um etwas zu bitten, nehmen aber immer noch Rücksicht auf andere.
Es ist genau diese «Es bitzeli meh»-Tendenz, die ich seit Jahren an unserer Volksschule beobachte. So wurde mit bestem Wissen und Gewissen eine zweite Fremdsprache in die Primarstufe integriert und gleichzeitig die Digitalisierung vorangetrieben. Der Umgang mit den neuen Medien und die damit verbundenen Herausforderungen wie Cyber-Mobbing, Online-Betrug, Phishing, anstössige Inhalte, Datenschutz, Cyber-Grooming und Fake News müssen zweifelsohne geschult werden.
Zudem brachte der Lehrplan 21 den kompetenzorientierten Ansatz endgültig in alle Klassenzimmer. Projektbasiertes Lernen und neue Beurteilungssysteme werden flächendeckend eingeführt. Die Schülerinnen und Schüler können ihre Arbeit selbst planen, und Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf werden in die Regelklasse integriert; schliesslich sind wir ja alle gleich. Unterdessen werden viel Geld und Personal in die Individualisierung und Förderung eines jeden Einzelnen investiert. Jede Schule benötigt heute eine Vielzahl von Sonderpädagogen.
Isoliert betrachtet, mögen all diese unzähligen pädagogischen Massnahmen sinnvoll sein. Als Ganzes müssen sie jedoch infrage gestellt werden. Ich habe den Eindruck, dass der Druck auf unsere Kinder und Lehrpersonen in den letzten Jahren stetig zugenommen hat. Dies führt unweigerlich zu Stress in der Schulstube. Wir tun gut daran, dieses Problem möglichst breit zu diskutieren, denn es braucht Gegensteuer.