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Schwyz

Andy Tschümperlin erzählt von seinem neuen Job

Nach seiner Abwahl aus dem Nationalrat hat sich Andy Tschümperlin beruflich neu ausgerichtet. Der frühere Schulleiter leitet heute die Fachstelle «Bildung im Strafvollzug». Er steht 40 Lehrern vor, die in 28 Haftanstalten unterrichten. Die Sprache lernen stehe da im Mittelpunkt, sagt Tschümperlin im Interview.
Andy Tschümperlin, Leiter Fachstelle Bildung im Strafvollzug, vor dem Gefängnis Grosshof in Kriens.
Bild: Pius Amrein, Luzerner Zeitung

Alexander von Däniken

Der ehemalige nationale SP-Fraktionschef Andy Tschümperlin kehrte in gewisser Weise zu seinen Wurzeln zurück. Der Lehrer, Schulleiter und Politiker aus Rickenbach trat vor rund zehn Monaten die Stelle als Leiter der Fachstelle Bildung im Strafvollzug (BiSt) an. Diese ist dem Schweizerischen Arbeiterhilfswerk Zentralschweiz SAH angegliedert und hat ihren Sitz in Luzern. Sie kümmert sich im Auftrag der Kantonalen Konferenz der Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) um die Bildung in den Schweizer Gefängnissen.

Andy Tschümperlin, waren Sie schon einmal in einem Gefängnis?
In meiner Funktion als BiSt-Leiter besuche ich die Vollzugseinrichtungen regelmässig. Zuvor bin ich mit dem Strafvollzug noch nie in Kontakt gekommen.

Was ist denn eigentlich Ihre Funktion?
Ich leite die Fachstelle Bildung im Strafvollzug. Die Kantone haben sich zu drei Strafvollzugskonkordaten zusammengeschlossen; Nordwest- und Innerschweiz, Ostschweiz sowie lateinische Schweiz. Für jedes dieser Konkordate haben wir Bereichsleiter. Diese Art Schulleiter stehen wiederum mit den insgesamt rund 40 Lehrpersonen in direktem Kontakt.

Wie viele Häftlinge werden unterrichtet?
Letztes Jahr waren es 526 Teilnehmende, aufgeteilt in 112 Lerngruppen. Wir haben kleine Gruppen mit vier bis sechs Personen, die einen halben Tag pro Woche am Unterricht teilnehmen.

Das sind sehr kleine Gruppen. Hat das mit dem hohen Anteil an Ausländern in den Gefängnissen und den mangelnden Sprachkenntnissen zu tun?
Auch, aber nicht nur. Das Vermitteln der Sprachkompetenzen – entweder Deutsch oder Französisch – ist tatsächlich eine grosse Herausforderung und einer der Schwerpunkte unseres Lehrplans. Die Lerngruppen sind sehr heterogen zusammengesetzt. Allerdings lassen auch die räumlichen Gegebenheiten in den Haftanstalten keine grösseren Lerngruppen zu. Immerhin achten die Kantone nun vermehrt auf genügend Bildungsräume in den Haftanstalten – entweder bei Neu- oder Umbauten.

Die Landessprachen sind also ein Schwerpunkt. Welche gibt es sonst noch?
Die BiSt verfügt über einen eigenen nationalen Lehrplan, der mit dem Lehrplan 21 kompatibel ist. Wir vermitteln eine Basisbildung. Dazu gehört auch das Lesen und Schreiben, denn wir haben einen hohen Anteil an Analphabeten. Weitere Kompetenzen sind Mathematik, Informatik und deren Hilfsmittel sowie Allgemeinbildung, in welcher Sozialkompetenzen ebenso wie das Schreiben von Bewerbungen vermittelt werden. Dazu haben wir einen eigenen Lern-Server, dem mittlerweile alle Deutschschweizer Haftanstalten angeschlossen sind. Auch in der Romandie schliessen sich immer mehr Anstalten unserem geschützten Netzwerk an.

Sie sagten, es gebe einen hohen Anteil an Analphabeten. Wie hoch ist er?
Dazu haben wir keine Statistik. Wir bilden in einer Vor-, Haupt- und Zusatzstufe aus. Die Vorstufe, quasi das einfachste Niveau, wird von rund 20 Prozent der Lernenden besucht – alles Erwachsene, da sich unser Angebot ausschliesslich an sie richtet.

Wie hoch ist denn der Altersdurchschnitt?
35 Jahre. Unser ältester Teilnehmer derzeit ist übrigens 76-jährig. Dazu ist allerdings zu sagen, dass unser Angebot freiwillig ist. Niemand kann zu den drei Stunden Unterricht pro Woche gezwungen werden. Es haben auch nicht alle Häftlinge Unterricht nötig. Wer den Unterricht besucht, erhält beim Austritt eine Unterrichtsbestätigung, die dann den Bewerbungsunterlagen beigelegt werden kann.

Die Fachstelle feiert dieses Jahr ihr 10-Jahr-Jubiläum. Welchen Stellenwert hatte der Unterricht im Gefängnis vor dieser Zeit?
Einen wesentlich geringeren als heute. Früher setzten die Kantone vor allem darauf, möglichst viele Häftlinge arbeiten zu lassen. Durch den Verkauf von Produkten liessen sich die Kosten senken. Spätestens seit der Änderung des Strafgesetzbuchs 2007 ist die Bildung der Arbeit im Strafvollzug gleichgestellt. Das ist sehr wichtig. Denn die Bildung trägt stark zur Resozialisierung bei. Aber auch in der Haft selbst erleichtert Bildung den Alltag. So kann der Tisch als Tisch benannt und die Kommunikation vereinfacht werden.

Stichwort Kosten: Was kostet der Unterricht im Gefängnis?
Rund zwei Franken pro Häftling und Tag. Diese werden nach der Leistungsvereinbarung mit der KKJPD abgegolten. Demnach zahlen die Kantone pro Aufenthalts- und Vollzugstag ihren Beitrag an die Bildung.

Rund 40 Lehrer sind in mittlerweile 28 Haftanstalten unterwegs. Braucht es dafür eine spezielle Ausbildung?
Entweder wird eine reguläre Lehrerausbildung oder dann ein Master mit einem Abschluss in Erwachsenenbildung vorausgesetzt. Zwei Drittel unserer Lehrpersonen sind Lehrerinnen. Die meisten von ihnen unterrichten in Gefängnissen, in denen ausschliesslich Männer untergebracht sind. Die Fachstelle organisiert pro Jahr fünf obligatorische und zwei fakultative Weiterbildungstage, damit die Lehrpersonen den Bildungsauftrag ausführen können.

Blicken wir in die Zukunft: Was wollen Sie mit der Fachstelle noch erreichen?
Die Fachstelle hat in den zehn Jahren hervorragende Aufbauarbeit geleistet. Darauf wollen wir weiter aufbauen und in möglichst vielen Gefängnissen Bildung anbieten.

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