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Ukraine-Konflikt

Wie Wladimir Putin die russische Wirtschaft ruiniert

Militärisch gedemütigt, international isoliert. Nun drohen den Russen auch noch wirtschaftlich schwere Zeiten.

Zumindest theoretisch besteht die Möglichkeit, dass Putin gestürzt wird. An der wirtschaftlichen Misere würde dies nichts ändern.
Bild: Keystone

An der Klimakonferenz in Ägypten wollten sich auch die Vertreter von Russland einbringen. Unter anderem schickten sie den ehemaligen Eishockey-Star Wjatscheslaw Fetissow nach Sharm el-Sheik ans Rote Meer. Dieser ist der Vorsitzende einer russischen Naturschutzorganisation und wollte an einem runden Tisch Vorschläge diskutieren, wie man den Nordpol schützen kann. Es sollte nicht sein. «Ich habe alle eingeladen, aber keiner ist aufgetaucht», erklärte Fetissow enttäuscht gegenüber der «Washington Post».

Derweil erleiden die russischen Truppen in der Ukraine eine demütigende Niederlage nach der anderen. Im Osten flohen die Soldaten Hals über Kopf, im Süden mussten die Russen Cherson wieder verlassen. Und die Ukrainer denken nicht daran, eine Winterpause einzulegen. General Walerij Saluschnyj, der Oberbefehlshaber und neue Nationalheld, postete jüngst auf Facebook unmissverständlich: «Unser Ziel ist es, alles Land der Ukraine von der russischen Besetzung zu befreien. Unter keinen Umständen werden wir von diesem Ziel ablassen. Es gibt nur eine Bedingung für Friedensverhandlungen: Die Russen müssen sämtliches Land, das sie erobert haben, zurückgeben.»

Starker Rubel gleich schwache Wirtschaft

So weit, so schlecht für die Russen. Aber wirtschaftlich, so wollen uns Putin-Versteher immer noch glauben machen, geht die Rechnung des Westens nicht auf. Allen Sanktionen zum Trotz ist die russische Wirtschaft nicht eingebrochen. Im Gegenteil, der Rubel ist stärker denn je und die Inflation mehr oder weniger unter Kontrolle.

Zu dieser Einschätzung kann nur kommen, wer die ökonomischen Verhältnisse auf den Kopf stellt. Das zeigt Konstantin Sonin in einem Beitrag im Magazin «Foreign Affairs» auf. Sonin ist Wirtschaftsprofessor an der Chicago University.

Der starke Rubel ist kein Zeichen von wirtschaftlicher Stärke, er zeigt im Gegenteil, dass die Sanktionen wirken. Russland ist nicht mehr in der Lage, Güter aus dem Westen zu importieren, die Importe sind um 40 Prozent eingebrochen. Ein Einbruch in diesem Ausmass ist nicht erwartet worden. Deshalb hat Russland nun einen massiven Überschuss in der Handelsbilanz. «Die Konsequenz davon ist, dass der Rubel gegenüber dem Dollar zugelegt hat», so Sonin.

Sanktionen wirken nicht sofort. Das ist hinlänglich bekannt. Doch die Tatsache, dass Russland nur im beschränkten Ausmass Zugang zu Chips und Halbleitern hat, zeigt bereits massive Folgen. «Zwischen März und August ist die russische Auto-Produktion um erstaunliche 90 Prozent zurückgegangen», so Sonin. «Der Einbruch in der Flugzeugindustrie ist ähnlich hoch.»

Der Krieg verändert auch die Besitzverhältnisse in der russischen Wirtschaft. Bereits nach der Finanzkrise von 2008 hat Putin wichtige Industrien wieder verstaatlicht. «In einigen Fällen hat er sie unter die direkte Kontrolle der Regierung gestellt, in anderen unter die Kontrolle von staatlichen Banken», so Sonin.

Diese Verstaatlichung durch die Hintertür hat der Wirtschaft bereits geschadet. Zwischen 2009 und 2021 ist das russische Bruttoinlandprodukt gerade mal durchschnittlich um mickrige 0,8 Prozent pro Jahr gewachsen. Der Krieg gegen die Ukraine hat die schleichende Verstaatlichung noch gefördert.

Der Kreml hat seit dem März Gesetze und Verordnungen erlassen, welche der Regierung erlauben, Geschäfte zu schliessen, Produktionsziele zu verordnen und Preise zu diktieren. Zudem hat die Tatsache, dass hunderttausende von Russen entweder ausser Land geflohen sind oder als Soldaten eingezogen wurden, die Wirtschaft ebenfalls nicht wirklich gestärkt.

Privatarmeen sorgen für mehr Korruption

Dank der Privatarmeen von Jewgeni Prigoschin und Ramsan Kadyrow hat die auch so schon grassierende Korruption in Russland weiteren Schub erhalten. In den Neunzigerjahren haben die damaligen Oligarchen eigene Schutztruppen unterhalten und so für mafiöse Zustände gesorgt. Eine Fortsetzung dieses Films zeichnet sich ab. «Die Söldnertruppen, die Putin gegen die Ukraine geschaffen hat, werden die gleiche Rolle in der Zukunft spielen», so Sonin.

Bisher ist kein Ausweg aus dieser misslichen Lage in Sicht. Putin sitzt nach wie vor fest im Sattel und ist – anders als seinerzeit Nikita Chruschtschow – nicht bereit, mit dem Westen zu verhandeln. Der ehemals mächtigste Mann der UdSSR hatte bei der Kuba-Krise 1962 schlussendlich klein beigegeben und einem gesichtswahrenden Deal zugestimmt.

Die Biden-Regierung versucht, Putin zu einem ähnlichen Deal zu bewegen, bisher ohne Erfolg. «Biden und alle, die das Weisse Haus auffordern, Kiew zu überreden, mit Moskau zu verhandeln, sollten sich merken: Der Krieg gegen die Ukraine ist nicht vergleichbar mit der Kuba-Krise, und Putin ist nicht Chruschtschow, wie er jedem gerne versichern wird», stellt Timothy Naftali ebenfalls in «Foreign Affairs» fest.

Zumindest theoretisch besteht die Möglichkeit, dass Putin gestürzt wird. An der wirtschaftlichen Misere würde dies nichts ändern. «Selbst wenn Putin die Macht verliert und seine Nachfolger signifikante Reformen verordnen, wird es mindestens ein Jahrzehnt dauern, bis die wirtschaftliche Produktion und die Lebensqualität der Menschen wieder das Niveau erreichen, das sie vor Jahresfrist noch hatten», so Sonin. «Das sind die Folgen eines desaströsen, fehlgeleiteten Krieges.»