notifications
Sexualstrafrecht

Überraschung: Nationalrätliche Kommission will «Nur Ja heisst Ja»-Regelung 

Nur mit einer eindeutigen Zustimmung sollen sexuelle Handlungen nicht strafbar sein. Das will die nationalrätliche Rechtskommission. Sagt auch der Rat Ja, kommt es zum Konflikt mit dem Ständerat.

Angehörige der Operation Libero demonstrieren auf dem Bundesplatz für ein zeitgemässes Sexualstrafrecht. (Aufnahme vom 7. Juni 2022)
Bild: Keystone

«Nur Ja heisst Ja»: Dieser Grundsatz soll im Sexualstrafrecht künftig gelten, wenn es nach der nationalrätlichen Rechtskommission geht. Das teilen die Parlamentsdienste am Freitagnachmittag mit. Damit bietet die Kommission dem Ständerat die Stirn, der sich in der Sommersession für die «Nein heisst Nein»-Regelung ausgesprochen hatte . In der Wintersession wird sich der Nationalrat erneut mit der Gesetzesvorlage befassen. Folgt sie ihrer Kommission, kommt es zum Konflikt mit dem Ständerat.

Das Sexualstrafrecht ist veraltet und braucht eine gründliche Modernisierung. Das ist in Bundesbern weitestgehend unbestritten. Doch die Frage nach dem Grundsatz gehört zu den Knackpunkten der Reform, die seit Jahren verschleppt wird.

Minderheit befürchtet eine «Beweislastumkehr»

Mit 15 zu 10 Stimmen hat sich die nationalrätliche Kommission nun für die Zustimmungslösung ausgesprochen. Auf dieser solle «der Kern des Sexualstrafrechts beruhen», findet eine Mehrheit. Damit signalisiere der Gesetzgeber, dass einvernehmliche sexuelle Handlungen «immer auf der Einwilligung der daran beteiligten Personen beruhen». Zudem erhoffe man sich, dass bei der Aufklärung von Sexualdelikten künftig vermehrt das Verhalten der Tatperson anstatt jenes des Opfers im Zentrum steht.

Im Gegensatz dazu warnt eine Minderheit der Kommission vor einem «Symbolstrafrecht» und befürchtet eine «Beweislastumkehr». Die Gesetzesreform könnte ihrer Ansicht nach zu «überzogenen Erwartungen» bei Opfern von Sexualdelikten führen, denen «eine Mitwirkung in einem Strafverfahren nicht erspart» werden könne.

«Hocherfreut», «Meilenstein»: Das sind die Reaktionen

Die Grünen sind dagegen «hocherfreut» über den Entscheid, den sie als «Meilenstein» bezeichnen. Es sei höchste Zeit, dass die Vergewaltigungsdefinition im Gesetz auf der fehlenden Zustimmung beruhe. Man werde sich «mit Nachdruck dafür einsetzen», dass der Nationalrat seiner Kommission in der Wintersession folge.

Auch die Grünliberalen äussern sich auf Twitter positiv zum Entscheid:

Als «wichtigen Zwischenerfolg» feiern die SP Frauen den Kommissionsvorschlag in einer Mitteilung. Sie sehen es als «gesellschaftliche Verantwortung», das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung zu schützen. Die «Nein heisst Nein»-Lösung sei besonders «in Fällen von Angst, Schock und tonischer Immobilität» zu wenig effektiv.

Auch die Operation Libero freut sich über den Kommissionsentscheid. Es sei ein «wichtiger und richtiger Schritt hin zu einem auf Konsens basierten Sexualstrafrecht». Und der Frauendachverband Alliance F spricht auf Twitter von «Good News»:

Und die Menschenrechtsorganisation Amnesty Schweiz erklärt in ihrer Reaktion, das «schockierende Ausmass» an sexuellen Übergriffen in der Schweiz sei nicht länger zu tolerieren. Schon verschiedene europäische Länder hätten die «Nur Ja heisst Ja»-Regelung eingeführt. So drängt Amnesty Schweiz auf eine «rasche und deutliche Annahme» der Zustimmungslösung im Nationalrat.

Kommission lehnt höhere Mindeststrafe ab

Der Ständerat hat in der Sommersession auch die Mindeststrafe bei einer Vergewaltigung verschärft, wenn zusätzlich eine Nötigung vorliegt. Er erhöhte das Strafmass auf zwei Jahre Freiheitsstrafe. Das lehnt die nationalrätliche Kommission aber ab: Sie will die Mindeststrafe bei einem Jahr belassen.

Ebenfalls abgewiesen hat sie den Vorschlag, bei sämtlichen Sexualdelikten die Geldstrafe zu streichen oder für einzelne Delikte massiv höhere Freiheitsstrafen oder Mindeststrafen vorzusehen. Das kritisierte SVP-Nationalrätin Barbara Steinemann auf Twitter. Sie begrüsst die Revision des Sexualstrafrechts, doch findet die Mindeststrafen ungenügend:

Kommission will Altersgrenze für Unverjährbarkeit erhöhen

Dafür will die Kommission an einem anderen Ort verschärfen: Sie schlägt eine Änderung der Verjährungsfrist von Sexualdelikten an Kindern vor. Aktuell sind Sexualdelikte unverjährbar, wenn sie an Kindern unter 12 Jahren begangen werden. Die Kommission will diese Altersgrenze auf 16 Jahre erhöhen.

Unbestritten ist dagegen bei beiden Räten, dass künftig auch männliche Opfer bei der Definition der Vergewaltigung miteingeschlossen sein sollen. Bislang umfasste der Tatbestand der Vergewaltigung keinen Anal- und Oralverkehr. Das soll sich mit der Reform des Sexualstrafrechts ändern.