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US-Wahlen

Warum der Ex-Präsident angezählt ist

Die dritte Präsidentschaftskandidatur von Donald Trump krankt am Problem, dass der Republikaner nicht mehrheitsfähig ist. Dem Ex-Präsident scheint dies egal zu sein. Der politische Gegner sollte aber nicht zu früh jubeln. 

Der ehemalige amerikanische Präsident Donald Trump will es noch einmal wissen: Der Republikaner steigt erneut ins Rennen um das Weisse Haus.
Bild: Andrew Harnik / AP

Es ist bezeichnend, dass sich Donald Trump am Dienstag nicht bei seiner Partei entschuldigt hat — dafür, dass er den Republikanern in den Zwischenwahlen Kandidatinnen und Kandidaten aufgedrückt hatte, die nicht mehrheitsfähig waren. Stattdessen begründete der alte und neue Präsidentschaftskandidat das enttäuschende Abschneiden seiner Partei mit der Ignoranz der Wählerinnen und Wähler. Diese seien zwar «wütend», behauptete Trump in seiner Antrittsrede. Aber sie hätten «das volle Ausmass und die Schwere der Qualen», die Amerika unter Präsident Joe Biden derzeit durchmache, noch nicht erkannt. Trump sagte: «Die Gesamtwirkung des Leidens beginnt gerade erst zu greifen.»

Das ist, mit Verlaub, Unsinn. Das amerikanische Volk weiss sehr wohl, dass sich die grösste Volkswirtschaft der Welt auf dem Holzweg befindet. Und viele Wählerinnen und Wähler sehnen sich nach einer neuen Politik, nach mehrheitsfähigen Lösungen für alte Probleme.

Sie wissen aber auch, dass das Bild, das Trump von Amerika zeichnet, nur wenig mit der Realität zu tun hat. So hat Präsident Biden die amerikanische Konjunktur nicht in Grund und Boden gefahren, wie Trump seit Monaten behauptet. Trotz anhaltend hoher Inflation stiegen im Oktober die Umsätze im Detailhandel um 1,3 Prozent, ein gutes Zeichen in einer konsumorientierten Volkswirtschaft. Auch ist es absurd zu behaupten, die Strassen der amerikanischen Grossstädte seien «blutgetränkt» — selbst wenn die Kriminalität in Metropolen wie New York City, Pennsylvania oder Baltimore natürlich vielen Menschen Angst macht.

Die Erinnerungen an Präsident Trump sind noch nicht verblasst

Trump hat, zweifelsohne, ein gutes Gespür für Themen, die den Amerikanerinnen und Amerikanern unter den Nägeln brennen. Aber nur ganz wenige Menschen in den USA glauben ihm, wenn er sagt, habe «grosse Ideen, kühne Ambitionen», um diese Probleme zu lösen und den erstarrten Politbetrieb in Washington aufzumischen. Denn sie erinnern sich noch allzu gut daran, wie chaotisch die erste Amtszeit Trumps, von 2017 bis 2021, verlief und welche Figur er während der grössten gesundheits- und wirtschaftspolitischen Krise in der Nachkriegsgeschichte Amerikas machte.

Der abgewählte Präsident müsste sich also anpassen, damit ihm die Wählerinnen und Wählern eine neue, letzte Chance geben. Trump müsste zugeben, dass es falsch war, nach der Präsidentenwahl 2020 zu behaupten, er sei um den Sieg betrogen worden. Er müsste einräumen, dass er Gesetze brach, als er nach seinem unfreiwilligen Auszug aus dem Weissen Haus streng geheime Dokumente mitlaufen liess. Und er müsste zur Kenntnis nehmen, dass sich auch ein Multi-Milliardär an gewisse Regeln des politischen Betriebs halten muss.

Trump glaubt, er sei der «Grösste aller Zeiten»

Trump ist 76 Jahre alt, und wer sich seine Rede am Dienstag angeschaut hat, der weiss: Für eine Kurskorrektur ist es zu spät. Der Ex-Präsident mag sich nicht mehr ändern. Nachdem er 2016 mit 46 Prozent der Stimmen gewählt und 2020 mit 47 Prozent der Stimmen abgewählt wurde, glaubt Trump tatsächlich, dass er 2024 plötzlich Millionen mehr Menschen in seinen Bann ziehen kann — ist er doch der «Grösste aller Zeiten», wie eine fanatische Anhängerin auf seinem Internet-Dienst Truth Social dieser Tage behauptete.

Das ist ein Irrglaube. Das amerikanische Wahlsystem bringt es aber mit sich, dass auch ein Präsidentschaftskandidat ins Weisse Haus einziehen kann, der weniger als 50 Prozent der Stimmen gewann. Bill Clinton wurde 1992 mit 43 Prozent gewählt, George W. Bush acht Jahre später mit 48 Prozent.

Der politische Gegner ist deshalb gut beraten, die dritte Präsidentschaftskandidatur Trumps ernst zu nehmen. Für Republikaner gilt: Er ist angezählt, aber noch nicht K.o. Und die Demokraten müssen in den nächsten zwei Jahren mehr unternehmen, um die Gemüter der verunsicherten oder verärgerten Wählerinnen und Wähler zu besänftigen. Dazu gehört vielleicht auch eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Frage, ob der bald 80 Jahre alte Biden bei der Wahl 2024 erneut antreten sollte. Vielleicht ist die Zeit für einen Generationswechsel in der amerikanischen Politik gekommen.