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Kommentar

Trump ist auch ein Schweizer - wie der Abstimmungskampf von Halbwahrheiten und Übertreibungen geprägt ist

Bei der AHV-Abstimmungen waren es primär die Gewerkschaften, beim Klimagesetz schummelt vor allem die SVP. Doch auch der Bundesrat spielt mitunter über die Bande. Noch ist die blanke Lüge hierzulande die Ausnahme. Dennoch müssen wir aufpassen, nicht in Trumpsches Fahrwasser zu geraten. 
Noch mehr bezahlen? Ein Slogan der eher harmlosen Sorte. 
Bild: Severin Bigler

Wer glaubt, in der Schweizer Politik werde stets die Wahrheit erzählt, ist naiv. Wahrscheinlich wurde schon beim Rütlischwur 1291 geschummelt. Zumindest haben spätere Generationen das Ereignis zur Staatsgründung stilisiert, was nachweislich falsch ist.

Wir haben also Übung im Umgang mit Fakten und Fiktionen. Am meisten sind wir mit Übertreibungen konfrontiert. Zu diesem Mittel greift fast jede Politikerin. Auch Halbwahrheiten gehören zum Standardrepertoire. Wir begegnen ihnen mit einer erstaunlichen Toleranz. So lange ein Körnchen Wahrheit in einer Aussage steckt, sind wir auf Grosszügigkeit getrimmt. Auf gesellschaftliche Milde darf selbst die Schummlerin hoffen. Sie erzählt zwar Mist, aber irgendwie auf eine nette Art. Anders verhält es sich beim Lügner. Jemanden der Lüge bezichtigen, das tun wir nur im Notfall. Wer lügt, steht im Abseits. Zumindest bis anhin.

In der internationalen Politik hingegen hat die Lüge Hochkonjunktur. Donald Trump hat es dank (oder trotz) dreister Lügen geschafft, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika zu werden. Möglicherweise, so ist zu befürchten, schafft er es ein zweites Mal, wobei seine Aura auch jetzt wieder auf einem Lügengebäude fusst, jenem der angeblich gestohlenen Wahl.

Auch Grossbritanniens Austritt aus der EU, ein geopolitisches Debakel für den Kontinent, ist eine Folge von Lügen, denen eine Mehrheit auf den Leim gekrochen ist. Blühende Landschaften, mehr Souveränität und weniger Ausländer wurden versprochen. Eingetroffen ist das Gegenteil.

Doch zurück in die Schweiz. Auch hierzulande werden die Massen sanft bis frivol manipuliert. Zum Beispiel vergangenes Jahr bei der Abstimmung zur AHV. Die Gewerkschaften behaupteten keck, sollte das Frauenrentenalter auf 65 erhöht werden, sei die weitere Erhöhung auf 67 bereits beschlossene Sache. Das war nachweislich falsch, hinderte die Linke aber nicht daran, an dieser Erzählung festzuhalten.

Geflunkert wird auch in der aktuellen Abstimmungskampagne zum Klimagesetz: In einem SVP-Extrablatt, das grossflächig verteilt wurde, suggeriert etwa ein Zitat eines BKW-Sprechers, die Bernischen Kraftwerke seien gegen eine griffige Klimapolitik. In Tat und Wahrheit sind sie dafür. Auf einem Flugblatt, das ebenfalls in alle Briefkästen flatterte, wird der Klimawandel in Abrede gestellt und den Menschen eingeflösst, sie würden künftig im Winter frieren. SVP-Nationalrat Michael Graber, Leiter der Nein-Kampagne, begrüsst diese Form der politischen Kommunikation ausdrücklich.

Sein St.Galler Kollege Lukas Reimann wiederum warnt seine 11’000 Follower auf Twitter, das Klimagesetz zerstöre den Mittelstand. Er beruft sich dabei auf einen einzelnen ETH-Wissenschafter, der basierend auf Extremszenarien Mehrkosten von bis zu 6600 Franken pro Person und Jahr berechnet hat. ETH Lausanne und Empa, welche die Studie gemacht haben, protestierten gegen die politische Instrumentalisierung einzelner Aussagen. Diese seien «von der SVP aus dem Zusammenhang gerissen» worden. Für Reimann spielt das keine Rolle. So wie es für die SVP auch keine Rolle spielt, dass die Behauptung, der Bundesrat könne künftig im Alleingang Ölheizungen und Benzinautos verbieten, falsch ist.

Die Strategie heisst: Verunsicherung säen. Sachlich- und Redlichkeit bleiben auf der Strecke.

Allerdings spielen auch die Befürworter mit gezinkten Karten. Dass die Dekarbonisierung nicht gratis vom Himmel fällt, sagt niemand laut. Der Bundesrat tut gar so, als kämen wir ohne grosse Anstrengungen ins grüne Paradies. Dass dies nicht wahr ist, legen aktuell die hohen Strompreise nahe, die wir der knappen Versorgungslage zu verdanken haben, die wiederum mit energiepolitischen Entscheiden zusammenhängt.

Der Bundesrat nimmt es auch bei der OECD-Mindeststeuer nicht so genau. Des Finanzdepartements Hauptargument, ein Nein führe zwangsläufig zum Abfluss von Steuersubstrat ins Ausland, ist erstaunlich weit weg von der Realpolitik, wie sie nach einem Nein zu erwarten ist.

Nun, eine Bundesrätin ist kein besserer Mensch als ein Parteipolitiker. Auch die Kommunikation einer Regierung lebt von einfachen, einprägsamen Botschaften. Bloss irreführend sollten sie im Idealfall nicht sein.

Trumps Lügen gefährden die Demokratie in den USA. Droht auch unserer Musterdemokratie der Zerfall? Das ist wohl übertrieben. Aber ein Körnchen Wahrheit steckt trotzdem darin. Die Weisheit des Volkes hängt von der Sachlichkeit der Debatten ab. Allzu viele Trumpisten mag es da nicht leiden.