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Schweiz-EU

Tauwetter in Brüssel: Cassis informiert Bundesrat über Erfolge in Sondierungen - nun folgen schwierige Diskussionen im Inland 

Nach sechs Gesprächsrunden in Brüssel liegt es am Bundesrat zu entscheiden, ob die Zeit für neue Verhandlungen gekommen ist. In Bern treffen sich am Donnerstag Spitzen von Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden sowie die Kantone mit Staatssekretärin Leu.

Haben sich dieses Jahr schon fünfmal getroffen: Aussenminister Cassis und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen.
Bild: Keystone

Kommt auf Ende Jahr nochmals Schwung ins verfahrene EU-Dossier? Am Mittwoch informierte Aussenminister Ignazio Cassis seine Bundesratskollegen über den Stand der Dinge in den Sondierungsgesprächen mit Brüssel. Wie Radio «SRF» gestützt auf ein internes Aussprachepapier berichtet, zeige sich die EU neuerdings offen für Schweizer Anliegen im Bereich der Personenfreizügigkeit, namentlich bei der Niederlassung von EU-Bürgern in der Schweiz und beim Lohnschutz. Hier soll die EU-Kommission bei der letzten Gesprächsrunde Konzessionen in Aussicht gestellt haben. Bei Fragen wie der Streitschlichtung halte die EU-Kommission aber an ihrer Position fest.

Dass die Sondierungsgespräche mit der EU-Kommission mittlerweile fortgeschritten sind und der Bundesrat bald über die Aufnahme neuer Verhandlungen entscheiden könnte, war absehbar.

Man habe ein «gemeinsames Verständnis über das Paket» entwickelt, sagte Staatssekretärin Livia Leu bereits bei ihrem letzten Besuch in Brüssel vergangene Woche. Für künftige Verhandlungen seien «Landezonen» besprochen worden. Gewisse Fragen würden zwar noch offenbleiben. Das sei aber «normal», immerhin befinde man sich lediglich in Vorgesprächen, so Leu.

Dem Vernehmen nach deutete auch Aussenminister Cassis im Gespräch mit den Parteispitzen Ende letzter Woche eine gewisse Entspannung im Verhältnis zu Brüssel an. Verschiedene Quellen im Umfeld des Bundesrats sprechen unabhängig voneinander von einer «positiven Entwicklung». Neu sei man sich nicht nur einig darüber, welches die Probleme im Verhältnis Schweiz-EU sind, sondern auch, wie Lösungen gefunden werden könnten.

Exklusiver Club mit viel Einfluss auf die Europapolitik

Zu dieser Dynamik passt, dass am Donnerstag in Bern auf Einladung von Staatssekretärin und Chefunterhändlerin Leu das sogenannte «Sounding Board» zusammentritt. Es wurde erst kürzlich vom Bundesrat ins Leben gerufen. Darin sind die Kantone vertreten, dazu die Gewerkschaftschefs Pierre-Yves Maillard und Adrian Wüthrich sowie die Präsidenten des Arbeitgeberverbands, Valentin Vogt, des Gewerbeverbands, Fabio Regazzi, und Economiesuisse-Präsident Christoph Mäder.

Ein exklusiver Club, der in der Europapolitik ein gewichtiges Wort mitzureden hat. Nach einer ersten konstituierenden Sitzung im Oktober erwarten Teilnehmende vom Treffen am Donnerstag konkrete Informationen und eine erste inhaltliche Diskussion.

Auch von der EU kommen wieder vermehrt positive Rauchzeichen: Die Schweizer hätten für Klarheit sorgen können, namentlich bei der Personenfreizügigkeit. Man verstehe jetzt besser, wo man stehe und wo es noch Diskussionsbedarf gäbe, so ein Sprecher im Nachgang zum Treffen mit Leu vergangenen Freitag.

Geht es nach der EU-Kommission, könnte man die gemachten Fortschritte nun eigentlich schriftlich festhalten. Die Verfassung einer gemeinsamen Erklärung hängt auf Schweizer Seite aber von der Zustimmung des Gesamtbundesrats ab. Es könnte der Abschluss einer Etappe sein, die den Weg zu einem neuen Verhandlungsmandat öffnen würde. Und es wäre wohl auch im Interesse von Aussenminister Ignazio Cassis, der sein Präsidialjahr mit einer positiven Note im EU-Dossier abschliessen würde.

Wegen Ukraine-Krieg: Cassis und von der Leyen führten fünf Gespräche

In der Tat hat sich die politische Grosswetterlage aufgehellt. Der Krieg in der Ukraine hat die Schweiz an die EU heranrücken lassen – und umgekehrt. Cassis traf EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in diesem Jahr bereits fünfmal. Nämlich am Rande der Ukraine-Konferenzen in Lugano und Berlin, am WEF in Davos, in New York an der UNO-Generalversammlung und bei der Lancierung der «neuen europäischen Gemeinschaft» in Prag.

Immer war bei diesen Gesprächen auch das bilaterale Verhältnis Thema. Dass die Schweiz allmählich wieder in den Fokus der Präsidentin rückt, zeigt sich daran, dass sich ihre engsten Mitarbeiter auf EU-Seite wieder in die Gespräche einschalten. Nicht zu unterschätzen ist zudem, dass Cassis mit seinem Besuch beim französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Paris das zuletzt belastete Verhältnis zu Frankreich kitten konnte.

Möglicherweise hat sich auch die Interessenlage auf Seiten der EU etwas zu Gunsten des Bunds verschoben, namentlich im Energiebereich. Mit der Energiekrise wurde der Politik die enge Vernetzung der Schweiz mit dem europäischen Stromnetz drastisch vor Augen geführt. Eine geregelte Basis für die Stromversorgung ist in gegenseitigem Interesse.

Gleichwohl warnen Vertreter beider Seiten vor übertriebenen Hoffnungen. In den umstrittenen Punkten seien die Differenzen nach wie vor gross. Oder wie es eine involvierte Person sagt: «Nach den Sondierungen ist vor den Verhandlungen.»