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Ukrainekrieg

Sollen noch alle Ukrainerinnen und Ukrainer Schutz erhalten? Gemeindeverband fordert Anpassungen beim Status S

Der Ukrainekrieg hat in der Schweiz eine grosse Solidarität ausgelöst. Dank dem Schutzstatus S können Ukrainerinnen und Ukrainer unbürokratisch aufgenommen werden. Doch nun regt sich Kritik - nicht nur von der SVP.

Grosse Solidarität - doch wie lange hält sie an?
Bild: Bild: Matthias Jurt (steinhausen, 07. April 2022) / Luzerner Zeitung

Den Anfang machte SVP-Nationalrätin Martina Bircher. Menschen aus der Ukraine hätten Anrecht auf Schutz, sagte sie im Mai der «SonntagsZeitung», um gleich einzuschränken: «Wir können aber nicht ewig weitermachen wie bisher.» Sie schlug vor, den Schutzstatus S auf die Ostukraine zu beschränken. Das würde bedeuten, dass nur noch Menschen aus dieser Gegend rasch und unbürokratisch aufgenommen würden; alle anderen müssten das reguläre Asylverfahren durchlaufen.

Die SVP trug die Forderung auch ins Parlament. Diese Woche wurde sie in beiden Räten beraten - und das Verdikt fiel deutlich aus: Ausserhalb der SVP fanden die Vorstösse keine Unterstützung. In der Debatte verwies SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi jedoch auf den Schweizerischen Gemeindeverband: Auch dieser fordere eine Beschränkung des Status S.

Tatsächlich hat der Gemeindeverband kürzlich eine Stellungnahme zum Thema verfasst. Darin regt er an, die Vergabe des Schutzstatus S auf Personen zu beschränken, «die unmittelbar an Leib und Leben bedroht sind». Zu prüfen sei zudem die Einführung von festen Kontingenten sowie regionale Einschränkungen auf besonders gefährdete Regionen innerhalb der Ukraine, heisst es im Papier. Dieses wurde verfasst zuhanden der vom Bund eingesetzten Arbeitsgruppe, die den Status S evaluiert.

«Das sorgt für Unmut»

Will der Gemeindeverband also den Schutzstatus S beschränken? Direktor Christoph Niederberger relativiert ein Stück weit: «Wir fordern, diese Optionen zu prüfen», sagt er. «Unsere Stellungnahme ist ein Beitrag zur politischen Diskussion.» Der Gemeindeverband wird von SVP-Ständerat Hannes Germann präsidiert, im Vorstand sitzen indes Gemeindevertreter verschiedener Parteien.

Klar ist für den Gemeindeverband: Es braucht Anpassungen beim Status S. Das Kernproblem ist aus seiner Sicht, dass dieser nicht ins reguläre Asylsystem passt und die Geflüchteten ungleich behandelt werden: Ukrainerinnen und Ukrainer erhalten rasch und unbürokratisch Schutz in der Schweiz, während Asylbewerber aus anderen Ländern ein individuelles, monatelanges Asylverfahren durchlaufen. Hinzu kommen ungleiche Rechte: Personen mit Status S dürfen beispielsweise in ihr Heimatland reisen; auch sind sie beim Familiennachzug besser gestellt als vorläufig Aufgenommene.

Christoph Niederberger
Bild: zvg

«Das sorgt für Unmut», sagt der Direktor des Gemeindeverbands. «Diese Ungerechtigkeiten muss man mittel- bis langfristig abschaffen.» Sonst drohe die Akzeptanz in der Bevölkerung, bei den Behörden und den direkt Betroffenen verloren zu gehen.

«Aus unserer Sicht müsste man einige Dinge relativ schnell anpassen», sagt Niederberger. Er denkt dabei etwa an Verschärfungen beim Familiennachzug sowie die Verlängerung der Integrationspauschalen. «Der Bund ist hier zu passiv» , sagt er. In einem zweiten Schritt gilt es nach Ansicht des Gemeindeverbands, das System grundsätzlich zu hinterfragen.

Ärger über Verteilung der Aufgaben

Denn Unmut ist auch zu spüren, was die Aufgabenteilung zwischen den drei Staatsebenen betrifft. Die Vorteile des Schutzstatus S lägen «vor allem auf Seiten des Bundes», schreibt der Gemeindeverband. Das liegt unter anderem daran, dass Personen mit Schutzstatus S - anders als Asylsuchende - nur wenige Tage in den Bundesasylzentren verbringen. Kantonen und Gemeinden bleibt dadurch wenig Vorlaufzeit.

Eine Möglichkeit sieht der Gemeindeverband deshalb auch darin, Kontingente für vulnerable Personen - beispielsweise Waisenkinder oder Kriegsversehrte – einzuführen. «Es geht darum, dass die Behörden sich besser vorbereiten können - und die Menschen dadurch besser betreut werden», sagt Niederberger.

Was geschieht im Winter?

Der Bundesrat sprach sich bisher klar dagegen aus, den Schutzstatus auf bestimmte Regionen der Ukraine zu beschränken. Die Lage sei volatil und es gebe immer wieder gezielte Raketenangriffe auf zivile Ziele im gesamten ukrainischen Gebiet, sagte Bundesrätin Karin Keller-Sutter diese Woche im Nationalrat. Zudem würde sich die Schweiz damit über das europaweit koordinierte Vorgehen hinwegsetzen.

Bisher haben in der Schweiz gut 66'000 Personen aus der Ukraine den Status S beantragt. Das Staatssekretariat für Migration rechnet für das ganze Jahr im wahrscheinlichsten Szenario mit 80’000 und 85'000. Allerdings könnten es auch mehr sein - laut Behörde bis zu 120'000 - falls es an Strom mangelt und Heizungen kalt blieben. Käme es zu diesem Szenario und konzentrierte sich der Krieg auf den Osten der Ukraine, gewänne die Diskussion um den Schutzstatus S an zusätzlicher Brisanz. Denn dann ginge es - zugespitzt formuliert - um die Frage, warum ein aufgrund der Energiekrise geflüchteter Ukrainer anders behandelt würde als jemand, der wegen einer Hungersnot aus einem anderen Land flieht.