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Forschung

Raus aus der Steinzeit: Pharmabranche fordert nationales Gesetz zur Nutzung der Gesundheitsdaten

Die Pandemie hats gezeigt: Die Schweiz hinkt bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens im Rückstand. Ein Gesetz soll Abhilfe schaffen.

Die Pharmaforschung ist auf Daten angewiesen.
Bild: Christian Beutler / KEYSTONE

Die Schweiz hat bei der Digitalisierung des Gesundheitssystems einen grossen Nachholbedarf. Roche-Chef Severin Schwan drückte es vor einem Jahr weniger freundlich aus: «In Sachen Digitalisierung des Gesundheitswesens befindet sich die Schweiz im Steinzeitalter.» Ein Befund, der von vielen Studien gestützt wird, wie etwa jener der Bertelsmann-Stiftung, welche die Schweiz bei diesem Thema auf die hinteren Ränge verbannt.

Und das obwohl alle profitieren würden von einem «Gesundheitsdatenökosystem», wie es René Buholzer ausdrückt, der Chef des Branchenverbands Interpharma. Ein solches wäre gut für die Patientinnen und Patienten, für die Gesellschaft als Ganzes und natürlich für den Forschungsstandort, also für die Pharmabranche. «Daten sind die Lebensader des medizinischen Fortschritts.» Doch dazu müssten Gesundheitsdaten standardisiert, digitalisiert, austauschbar und anonymisiert werden.

Interpharma wollte herausfinden, wieso die Schweiz so schlecht dasteht. Die kurze Antwort: Die aktuelle Gesetzgebung ist schuld. Das jedenfalls ist das Fazits des Gutachtens, das Interpharma bei einer Anwaltskanzlei in Auftrag gegeben und am Dienstag publiziert hat. «Die aktuelle Schweizer Gesetzgebung behindert die Sekundärnutzung von Gesundheitsdaten», sagt Jurist und Gutachter Lukas Bühlmann. Er führt diese Aussage auf vier Ursachen zurück: Erstes und grundlegendstes Hindernis sei der heute bestehende «Flickenteppich» von zig Gesetzen auf eidgenössischer und kantonaler Ebene sowie die unterschiedlichen Begrifflichkeiten, die in diesen verwendet würden. Das führe bei Forschenden zu einer grossen Unsicherheit, sagt Bühlmann.

Die drei weiteren Ursachen ortet Bühlmann in den heute bereits bestehenden Ansätzen, die Sekundärnutzung von Gesundheitsdaten zu vereinfachen oder ermöglichen. Da sind die Unklarheiten, was eigentlich die heutigen Anforderungen an die Anonymisierung von Daten sind, da sind die Regelungen, die zwar für die Forschung Ausnahmen erlauben, aber nicht praxistauglich sind. Und da ist die geltende Regelung der Datenbekanntgabe selbst, die ein grosses Hindernis für den Datenaustausch unter den involvierten Akteuren ist, wie Bühlmann betont.

Vorbild Finnland

Das Fazit des Gutachtens: Es braucht ein einheitliches, nationales Gesetz, das alle Unklarheiten abschafft. Eine Empfehlung, die Interpharma noch so gerne aufnimmt. «Wir brauchen ein nationales Gesetz», fordert Buholzer. Dieses soll regeln, wie und für was in der Schweiz anfallende Gesundheitsdaten genutzt werden könnten und wie die verschiedenen Akteure Zugang zu den Daten erhalten sollen.

Ein solches «Gesundheitsdatengesetz» soll schlank, praktikabel und einfach sein, ergänzt Buholzer. Interpharma plädiert deshalb beim Einwilligungsverfahren für ein Optout-System. Das heisst, Patientinnen und Patienten, die ihre Daten nicht der Forschung zur Verfügung stellen möchten, müssten sich abmelden. Zudem schlägt Interpharma vor, eine zentrale Koordinationsstelle für Gesundheitsdaten zu schaffen - nach finnischem Vorbild. Dort sammelt die staatliche Behörde Findata alle digitalisierten Gesundheitsdaten, und reicht sie, falls angefordert, aufbereitet, anonymisiert und standardisiert weiter. Eine solche unabhängige Schaltstelle würde das Vertrauen der Menschen in die Datensicherheit erhöhen, sagt Buholzer.

Interpharma wünscht sich, dass die Politik nun bei der Erarbeitung eines «Gesundheitsdatengesetz» schnell vorwärtsmacht. Ein für die Schweiz nicht wirklich typisches Vorgehen. Immerhin hat die zuständige ständerätliche Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK) mit einer Motion ein erstes Zeichen gesetzt, wie Buholzer sagt. Sie hat eine Motion für die Schaffung eines «Rahmengesetzes für die Sekundärnutzung von Daten» verabschiedet.