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Schweiz

Putsch am Lucerne Festival: die Hintergründe zum Abgang von Hubert Achermann

Seit Tagen wird über die Hintergründe des Abgangs von Stiftungsratspräsident Hubert Achermann gerätselt. Jetzt zeigen Recherchen: Der Spitzenmann der Wirtschaft wurde faktisch weggeputscht. Statt hohe Kunst zu fördern, verlegt man sich im Lucerne Festival derzeit auf die hohe Kunst der Intrige.
Hubert Achermann (Bild: Roger Grütter (Luzern, 7. Mai 2019))
Markus Hongler (Bild: Lukas Lehmann / Keystone (Bern, 7. April 2016))
Hubert Achermann (links) und Michael Haefliger (Bild: Roger Grütter (Luzern, 7. Mai 2019))
Dominik Deuber (Bild: Lucerne Festival)
Michael Haefliger (Bild: Patrick Hürlimann (Luzern, 1. September 2019))

Pascal Hollenstein

Pascal Hollenstein

Pascal Hollenstein

Pascal Hollenstein

Pascal Hollenstein

Anfang der Woche tat das Lucerne Festival das, was man gerne als «Fakten schaffen» bezeichnet: Per Medienmitteilung vermeldete es, Hubert Achermann, langjähriger Stiftungsratspräsident, trete zurück.

Nachfolger werde Markus Hongler, Chef der Mobiliar-Versicherung. Es folgten salbungsvolle Worte zum Wirken Achermanns. Ganz so, wie man es bei einem Personalwechsel in Minne gewohnt ist.

Dennoch erweckte die Medienmitteilung Aufsehen. Erst vor wenigen Wochen war das LF in die Schlagzeilen geraten, weil Intendant Michael Haefliger in einen Fall von Mobbing verwickelt sein soll. Das LF hatte darauf bekanntgegeben, man werde die Sache extern untersuchen lassen. Ob ein Zusammenhang zwischen der Personalie Achermann und dem Mobbing-Fall bestehe, fragten deshalb einige Medien. Und: Ob der Fall nun untersucht sei?

Das Lucerne Festival hielt dazu fest, ein Zusammenhang bestehe nicht. Der Fall sei zudem von einer Anwaltskanzlei geprüft worden. Ergebnis: Mobbing liege nicht vor, wohl aber ein Arbeitskonflikt. Man habe beschlossen, das Arbeitsverhältnis mit dem mutmasslichen Opfer, dem LF-Kadermann Dominik Deuber, aufzulösen.

Alles in Ordnung also, keinerlei Misstöne? Das Gegenteil ist der Fall. Gespräche mit Involvierten und Dokumente zeigen: Das Lucerne Festival hat in allen Punkten entweder die Unwahrheit gesagt oder Nebelpetarden verschossen. Die Wahrheit ist: In Luzern hat sich nicht weniger ereignet als ein Putsch.

Vom Rücktritt erfuhr Achermann aus den Medien

Zunächst: Hubert Achermann räumt seinen Präsidiumsposten nicht freiwillig, sondern unter massivem Druck. Formell ist nicht einmal klar, ob er überhaupt zurücktritt, denn ein Rücktrittsschreiben gibt es nicht. Und hätte er seinen Rücktritt bekannt gegeben, dann erst an der Sitzung des Stiftungsratsausschusses vom 13. Dezember 2019. Aber das Festival hat Fakten geschaffen. Wie Vertraute Achermanns berichten, hat er von der Medienmitteilung zu seinem Rücktritt erst erfahren, als diese bereits publiziert war.

Ein Abgang in Minne ist das nicht. Aber der Haussegen hing beim Lucerne Festival schon länger schief. 2017 war für das Festival ein finanziell desaströses Jahr. Seither verlangte Achermann, der in den Verwaltungsräten von UBS Schweiz und Georg Fischer sitzt, Reformen. Diesen Frühling verbuchte er insofern einen Erfolg, als er gemeinsam mit Intendant Michael Haefliger eine Konzentration des Lucerne Festival auf das Sommerfestival bekannt geben konnte.

Doch Haefliger scheint den Konsolidierungskurs nur halbherzig mitgetragen zu haben. Zwei Wochen vor dem diesjährigen Sommerfestival soll er mit der Kündigung gedroht haben, falls Achermann auf seinem Posten bleibe, berichten hervorragend informierte Kreise. Für das Lucerne Festival wäre dieser Skandal zum schlechtestmöglichen Zeitpunkt gekommen; also einigte man sich auf einen Burgfrieden: Markus Hongler als Vizepräsident sollte vorerst als Ansprechpartner von Haefliger fungieren, nach aussen schwor man sich auf Stillschweigen ein. Eiszeit am Lucerne Festival.

Als wäre die Situation damit nicht schwer genug gewesen, platzte nach dem Sommer gleich die nächste Bombe: Intendant Haefliger entzog Dominik Deuber, einem aufstrebenden Kadermitarbeiter, telefonisch Befugnisse und entzog ihm das Vertrauen.

Deuber, der erst kurz zuvor von Haefliger mit einem wichtigen Projekt betreut worden war, fühlte sich verletzt, fand bei Haefliger aber kein Gehör. Folglich wandte er sich an den Stiftungsratsausschuss mit Präsident Achermann. Für diesen war klar: Einen möglichen Fall von Mobbing kann und darf das Lucerne Festival nicht auf die leichte Schulter nehmen. Man beschloss eine externe Untersuchung und wählte hierzu eine Zürcher Anwaltskanzlei aus.

Nur: Zu einer richtigen Untersuchung, wie sie in solchen Fällen eigentlich Standard ist, kam es nie. Vielmehr beauftragte das Lucerne Festival eine Anwältin mit einer simplen juristischen Einschätzung. Die Anwältin erledigte ihren Job, ohne je mit den Beteiligten gesprochen zu haben, in weniger als einem Arbeitstag. Resultat war ein zweiseitiges Papier. Resultat: Mobbing liege nicht vor. Zudem behauptete die Festival-Anwältin in einem anderen Schreiben, Deuber selber wolle gar keine unabhängige Untersuchung seines Falls und ziehe seinen Vorwurf des Mobbings zurück - eine Darstellung, die von Deubers Anwältin in einem umfangreichen Schriftwechsel in Abrede gestellt wird. Dennoch: Gestützt auf einen eilig verfassten Persilschein der Anwältin und eine bestrittene Aussage blies der falsch informierte Stiftungsratsausschuss die externe Untersuchung ab und liess seinen Präsidenten ins Leere laufen.

Warum es überhaupt zum Konflikt zwischen Haefliger und Deuber gekommen war, ist aus internen Papieren zu rekonstruieren. Noch im Juni 2018 hatte Haefliger Deuber ein geradezu euphorisches Zwischenzeugnis ausgestellt. Von «grossem Vertrauen» war darin die Rede, «überdurchschnittlicher Leistungsbereitschaft» und von «fairem, wertschätzendem Umgang». Dass das ein Jahr später alles nicht mehr gelten soll, hat - wie informierte Kreise nahelegen -, damit zu tun, dass Deuber seine Projekte erfolgreich und zielgerichtet vorantrieb und damit Erfolge verbuchte, die Haefliger zunehmend versagt blieben. Sah Haefliger den aufstrebenden Deuber als Bedrohung? Manche sehen das so. Jedenfalls wandte er sich von seinem Mitarbeiter ab und entzog ihm das Vertrauen.

Haefliger ist der Sieger einer ersten Runde eines Machtkampfs

Das Lucerne Festival stellt das so dar: Deuber habe «seine Unzufriedenheit geäussert» und es gebe «in diesem Zusammenhang einen Arbeitskonflikt». Eine Expertise habe ergeben, dass es keinen Mobbing-Fall gebe. Und: Man habe sich entschlossen, sich von Deuber zu trennen.

Deubers Anwältin hält dagegen fest: Es gebe gar keine Untersuchung und es hätten keine Untersuchungshandlungen stattgefunden. Die Vorwürfe gegen Intendant Haefliger stünden damit weiterhin ungeklärt im Raum. Die eigentlich geplante, umfangreiche Untersuchung sei dagegen abgeblasen worden. In anderen Worten: Alles, was das Lucerne Festival behauptet, wird bestritten.

Für Präsident Achermann präsentierte sich die Lage, je mehr der Fall Deuber eskalierte, zusehends schwierig. Intendant Haefliger - eigentlich ein Untergebener - war es gelungen, Achermanns Einfluss entscheidend zurückzubinden. Vizepräsident Hongler wiederum machte keinen Hehl daraus, dass er Achermann lieber heute als morgen auf seinem prestigeträchtigen Posten beerben würde. Und mit einer heiklen Untersuchung im Fall Deuber hatte man Achermann ins Leere laufen lassen. Achermanns Position war unhaltbar geworden. Auch wenn es noch kein Rücktrittsschreiben gibt, so führt am Rücktritt doch nichts mehr vorbei. Das sind die Fakten, die das Lucerne Festival geschaffen hat.

Das Motto des diesjährigen Lucerne Festivals hiess «Macht».

Intendant Haefliger ist der Sieger einer ersten Runde eines Machtkampfs. Der Fall Deuber freilich ist noch lange nicht abgeschlossen.

Hubert Achermann wollte zu den Umständen seines Rücktritts nicht Stellung nehmen. Das Lucerne Festival hält auf Anfrage an der schon zu Beginn der Woche verbreiteten Version der Geschehnisse fest.

Im Stiftungsrat und dem Stiftungsratsausschuss des Lucerne Festival sitzen mit Personen wie Urs Rohner (CS), Walter Kielholz (Ex-CS), Rolf Dörig (Swiss Life, Adecco), Christoph Franz (Roche, Stadler Rail), Isabelle Welton (NZZ) oder Klaus Schwab (WEF) zahlreiche Spitzenvertreter der Schweizer Wirtschaft. Mit Spannung erwarten Beobachter, wie sie an der nächsten Sitzung am 13. Dezember auf die Vorkommnisse im Lucerne Festival reagieren werden.