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PREISSTURZ

Putins Panikmache scheitert: Warum Europa eher zu viel und nicht zu wenig Gas hat

Milde Temperaturen und die Ankunft vieler Flüssiggastanker sorgen für hohe Speicherstände in Europa. Die Märkte reagieren deutlich und die Preise gehen runter. 

Spricht von einem regelrechten Preissturz: Deutschlands Wirtschaftsminister Robert Habeck.
Bild: Keystone

Seit Wochen reiben sich die Europäer in einem wüsten Streit um die hohen Energiepreise auf. Auf der einen Seite stehen Südländer wie Spanien, Italien und Frankreich, die dem Treiben auf den Märkten nicht länger zuschauen und die Preise künstlich runterbringen wollen.

Auf der anderen Seite stehen Deutschland und Verbündete aus dem Norden, die solche Markteingriffe ablehnen. Sie befürchten, dass Preisdeckel und anderes Schrauben am Angebot-Nachfrage-Mechanismus unkontrollierbare Folgen haben könnte und im schlimmsten Fall am Schluss gar kein Gas mehr nach Europa käme.

Die Spannungen sind gross. Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz musste sich von seinen EU-Kollegen zuletzt böse Worte anhören, er würde sich mit seiner Verweigerungshaltung als Egoist aufführen.

Tiefster Gaspreis seit vier Monaten - dem Wetter sei Dank

Nun aber scheint sich der Streit zumindest vorübergehend zu entschärfen: Zu Wochenbeginn sank der für den Gaspreis ausschlaggebende Amsterdamer-Leitindex ein erstes Mal unter die psychologisch wichtige 100 Euro Marke. Das ist der tiefste Stand seit vier Monaten und rund 70 Prozent weniger als der Rekordwert im August von 340 Euro pro Megawattstunde. Noch deutlicher zeigt sich der Preissturz bei kurzfristigen Gaskäufen: Der sogenannte Spotpreis fiel am Dienstag auf 30 Euro.

Gründe für den Sinkflug gibt es verschiedene. Der naheliegendste ist das Wetter: Temperaturen um die 20 Grad zu Novemberbeginn bewirken, dass sich die Heizperiode nach hinten verschiebt. Gas wandert nicht in den Ofen, sondern in die Speicher. Diese sind unterdessen auch überdurchschnittlich gut gefüllt. In Deutschland, dem grössten Gasverbraucher in Europa liegt der Füllstand aktuell bei über 97 Prozent, in Frankreich sind es sogar 99 Prozent und EU-weit über 93 Prozent. Das drückt die Nachfrage und somit die Preise.

Aber auch beim Angebot sieht es nicht schlecht aus, obwohl Putin seit Monaten den Hahn zumindest für Pipelinegas zugedreht hat. Vor Portugal und Spanien stauen sich die grossen Tankschiffe mit Flüssiggas (LNG) aus den USA und aller Welt. Mindestens 35 der teils bis zu 300 Meter langen LNG-Tanker warteten gemäss Medienberichten Ende vergangener Woche darauf, in einem der Anlandeterminals anzudocken.

Doch die Anlagen für die Rückvergasung laufen am Anschlag und auch die Pipeline-Kapazitäten zum Weitertransport Richtung Mitteleuropa sind ausgelastet. Dazu kommt, dass sich der Verbrauch von Haushalten und Industrie wegen der Sparanstrengungen und einer abflauenden Konjunktur reduziert hat. Statt zu wenig Gas, kämpft Europa im Moment also eher mit einem Überangebot.

Warten vor der iberischen Halbinsel: LNG-Tanker (Symbolbild)
Bild: Keystone

Die Situation bleibt volatil - Preise könnten wieder nach oben schiessen

Gleichwohl ist das nur eine Momentaufnahme. Wie sich der Gasmarkt weiterentwickeln wird, ist schwer vorauszusagen. Einige Analysten weisen darauf hin, dass manche der LNG-Tankschiffe vor der iberischen Halbinsel ihre Fracht gar noch nicht verkauft hätten. Erhalten sie ein attraktives Angebot von einem Abnehmer ausserhalb Europas könnten sie einfach wieder Kurs setzen und losfahren. Sinken die Temperaturen und beginnt die Heizperiode, werden die Speicherstände in Europa relativ rasch sinken und die Nachfrage nach ständigen Gaslieferungen zieht wieder an.

Vor allem aber stellt sich die Frage, wie die Versorgung kommenden Jahres bewerkstelligt werden kann, wenn von Anfang an kein russisches Pipeline-Gas mehr zur Verfügung steht. Auch wenn der Grosshandelspreis gerade eingebrochen ist warnt Deutschlands Wirtschaftsminister Robert Habeck:

«Das ist für die Verbraucher erst mittelfristig eine gute Nachricht, weil die hohen Preise aus dem letzten Jahr im nächsten Jahr noch anfallen werden».

Vor diesem Hintergrund suchten die Energieminister der EU-Staaten am Dienstag in Luxemburg weiter nach geeigneten Massnahmen um die Konsumentenpreise runter zu bringen. Wie dies geschafft werden soll, bleibt vorerst noch offen.

Klar ist aber: Von allfälligen EU-Subventionen wie einem Preisdeckel sollen nicht-EU-Länder wie die Schweiz oder Grossbritannien nur profitieren, wenn sie sich auch an deren Finanzierung beteiligen. Darauf wies die EU-Kommission in einem Papier zuhanden der EU-Energieminister hin.