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SRF-«Arena»

Pflegefachfrau gibt gegen Lukas Engelberger Gas

Kommt es zum Pflexit? Die Politikerinnen und Politiker diskutieren in der SRF-«Arena» über die Umsetzung der Pflegeinitiative. Doch nur die Pflegefachfrau weiss, wie es wirklich ist. Sie sorgt für den dringenden Realitätscheck.

Egal, was Lukas Engelberger in der SRF-«Arena» sagt, die anwesende Pflegefachfrau hält dagegen.
Bild: Screenshot SRF

Wie steht es um die Umsetzung der Pflegeinitiative? Kommt es zum Pflexit? Darum ging es am Freitag in der «Arena».

Es ist ein Thema, das auch nach der Pandemie noch bewegt. Der Moderator Sandro Brotz sagte am Anfang, sie hätten selten so viele Nachrichten erhalten vor einer Sendung.

Kein anderer Job war letztes Jahr öfter ausgeschrieben als die Pflegefachperson. Bis zu 15’000 Stellen gibt es in der Pflege gegenwärtig zu besetzen.

Stand jetzt arbeiten (noch) 186’000 Personen in der Schweiz in der Pflege. Bis 2029 dürften aber 20’000 Leute mit Ausbildung und 79’000 Personen ohne Ausbildung fehlen. 40 Prozent der Personen – 500 pro Monat – geben ihren Job in der Pflege frühzeitig auf, weil er sie zu sehr beansprucht.

Claudia Soltermann kennt diese Belastung. Sie ist diplomierte Expertin Notfallpflege und hat in Spitälern in Aarau, Baden, Luzern und Einsiedeln gearbeitet.

Sie ist zwar noch in der Pflege tätig, musste aber ihr Pensum auf 70 Prozent reduzieren. Sie sagt: «Das bedeutet auch, dass ich weniger in die Pensionskasse einzahlen kann. Aber das nehme ich in Kauf. Denn ich mag nicht mehr 120 Prozent arbeiten.»

Claudia Soltermann, Dipl. Expertin Notfallpflege.
Bild: Screenshot SRF

Leute laufen davon

Soltermann sorgt in der Sendung für die Showdowns und stellt damit alle anderen Anwesenden in den Schatten.

Martina Bircher , Nationalrätin SVP

Erich Ettlin , Ständerat Mitte

Yvonne Ribi , Geschäftsführerin Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner SBK

Katharina Prelicz-Huber , Nationalrätin Grüne

Lukas Engelberger , Präsident Gesundheitsdirektorenkonferenz GDK

Claudia Soltermann , Expertin Notfallpflege

Soltermann sagt, sie habe 1997 in der Pflege angefangen und da habe es schon geheissen, irgendwann werde es einen Engpass geben, man müsse mehr Personal rekrutieren und bestehendes Personal besser behandeln. «1997 ist schon länger her. In meinen Augen hat sich seitdem sehr wenig getan. Es braucht bessere Arbeitsbedingungen.»

Lukas Engelberger, Präsident der GDK, erkennt darin ein demografisches Problem. Das Gesundheitswesen stehe mit anderen Branchen in Konkurrenz. Es fehle auch in anderen Bereichen an Fachkräften, weil die geburtenreichen Jahrgänge gerade in die Pension gehen.

Wichtig sei es, die innere Motivation nach aussen zu bringen. Er sagt zu Soltermann: «Wie sie strahlen, wenn sie über ihren Job reden, das ist ein wichtiges Element.»

Soltermann bleibt skeptisch: «Man vergleicht uns immer mit anderen Branchen. Aber für die gesundheitliche Grundversorgung der Gesellschaft sind die Kantone zuständig – für das Überleben eines Restaurants hingegen nicht. Wir hören immer: Es braucht Zeit. Als Notfallexpertin tue ich mich damit schwer: Wir arbeiten zack, zack, zack. Von der Politik erwarte ich, dass sie ebenso schnell ist. Denn die Leute laufen uns davon!»

Das scheint Engelberger nicht wahrhaben zu wollen: «Wir müssen diese Leute wieder zurückgewinnen! Es ist cooler, auf dem Notfall zu arbeiten als im Büro.»

Sie: «Aber auch anspruchsvoller.»
Er: «Aber bestimmt auch bereichernder.»
Sie: «Bereichernder? Wir werden angespuckt und abgeschlagen!»

Nur drei Kantone bereit

Am 28. November 2021 wurde die Pflegeinitiative mit 61 Prozent vom Volk angenommen. Alle Kantone haben das Paket angenommen, ausser Appenzell Innerrhoden. Der Bundesrat hat für die Umsetzung zwei Pakete vorgeschlagen.

Das erste Paket sieht vor, dass Bund und Kantone über acht Jahre eine Milliarde in die Ausbildung von diplomierten Pflegefachpersonen investieren. Direkt Geld erhalten sollen auch die angehenden Pflegefachpersonen in Form von Ausbildungsbeiträgen. Das Parlament hat das Paket bereits bewilligt. Dieses tritt voraussichtlich 2024 in Kraft.

Yvonne Ribi ist Geschäftsführerin vom SBK und macht sich Sorgen, dass die Kantone nicht parat sind, wenn die Pflegeinitiative Mitte 2024 umgesetzt wird. Sie fordert Sofortmassnahmen. Ribi tritt in der «Arena» zusammen mit Soltermann am forderndsten auf an diesem Abend.

Yvonne Ribi, Geschäftsführerin vom SBK, und Katharina Prelicz-Huber, Nationalrätin Grün.
Bild: Screenshot SRF

Laut einem Expertenbericht im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit BAG verfügen derzeit nur drei Kantone (Bern, Tessin, Wallis) der befragten 24 über die nötigen Rahmenbedingungen bzw. haben bisher genügend Vorarbeit geleistet, um die Pflegeinitiative erfolgreich umzusetzen. 13 Kantone erfüllen die Kriterien des Bundes nur teilweise und acht Kantone erfüllen diese derzeit überhaupt nicht.

Ständerat Erich Ettlin wehrt sich gegen die Kritik an den Kantonen: «Die Schwierigkeiten für die Kantone – und da muss man sie in Schutz nehmen – ist, dass sie die Gesetzgebung teilweise anpassen müssen. Aber das ist jetzt die Herausforderung: Dass das möglichst schnell passiert.»

Auch Engelberger will das so nicht auf den Kantonen sitzen lassen: «Wir reden hier von Anforderungen von einem Gesetz, das noch gar nicht gilt. Die Referendumsfrist läuft noch. Das sind zum Teil auch sehr formelle Anforderungen. Man darf darauf vertrauen, dass die Kantone den Fahrplan ernst nehmen und einhalten.» Das sagt er mit grosser Zuversicht.

Arbeitsbedingungen verbessern

Das zweite Paket soll die Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals verbessern, beispielsweise mit verlässlichen Dienstplänen und angemessener Entlöhnung. Für dieses zweite Paket arbeitet das BAG mit anderen Bundesämtern gegenwärtig Vorschläge aus.

Engelberger betont: Jede Massnahme vom zweiten Paket werde scheitern, wenn es nicht gelinge, Leute in den Beruf zu bringen. Das zweite baue auf dem ersten Paket auf. Man könne die Dienstplanung nur verlässlicher machen und die Arbeitseinsätze nur verkürzen, wenn es mehr Leute gebe. «Alles ist zwingend angewiesen auf den Erfolg der Ausbildungsoffensive.»

Davor kam Engelberger auf das Arbeitsgesetz zu sprechen. Er sagt: «Das Arbeitsgesetz gilt für alle gleich in diesem Land. Ich fände es nicht richtig, wenn man für das Gesundheitswesen ein spezielles Arbeitsgesetz machen würde.»

Das sieht Soltermann anders und sorgt so für den zweiten Showdown in der Sendung: «Das Arbeitsgesetz gilt für uns in den Spitälern gar nicht. Manchmal arbeite ich 60-Stunden-Wochen, erlaubt wären eigentlich nur 50. Manchmal habe ich schon Doppelschichten geschoben, von morgens um 7 Uhr bis nachts um 23:30 Uhr. Alles nicht erlaubt. Und das ohne Pause. Das entspricht keinem Arbeitsgesetz. Darum müssen Arbeitsgesetze her, die uns schützen!»

Soltermann gleicht damit – wieder einmal – die Regelungen mit der Realität ab. Und siegt.