Opfer von sexualisierter, häuslicher und geschlechtsbezogener Gewalt erhalten in vielen Regionen der Schweiz keine spezialisierte medizinische oder psychologische Soforthilfe. Das soll sich nun ändern: Der Ständerat hat am Dienstag einer Motion von SP-Ständerätin Marina Carobbio Guscetti (TI) grünes Licht gegeben. Der Nationalrat hatte bereits in der vergangenen Woche zwei gleichlautende Motionen gutgeheissen. Auch der Bundesrat unterstützt das Anliegen.
Konkret sollen den Opfern künftig in jedem Kanton Krisenzentren zur Verfügung stehen. Auch möglich sind regionale Zentren im Auftrag mehrerer Kantone. Dort sollen die Opfer eine medizinische und psychologische Erstbetreuung und Unterstützung erhalten – etwa Hilfe bei Verletzungen und Trauma oder Prävention von Sexualkrankheiten.
Dokumentation der Spuren der Gewalt für Polizei
Zudem werden in den Zentren die Spuren der Gewalt von der Rechtsmedizin gesichert und dokumentiert – ohne Verpflichtung, Anzeige gegen den Peiniger zu erstatten. Dies soll auch dafür sorgen, dass die Chancen der Strafverfolgungsbehörden intakt bleiben und erhöht werden.
Die Krisenzentren sollen für alle Opfer leicht zugänglich und in der Bevölkerung bekannt sein. Solche Modelle von Krisenzentren kennen etwa die Kantone Waadt und Bern. Allerdings seien auch andere Modelle denkbar wie jedes im Kanton St. Gallen mit einer speziellen Notrufnummer, heisst es im Vorstoss.
Eine Forderung der Istanbul-Konvention
Die Ständerätin beruft sich bei ihrem Vorstoss auf die Istanbul-Konvention, die zu solchen Zentren verpflichtet. Empfohlen wird ein Zentrum pro 40'000 Einwohnerinnen. Die Schweiz hat sich 2018 im Rahmen der Konvention verpflichtet, die Prävention, den Opferschutz und die Strafverfolgung bei Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt konsequent voranzutreiben.
Das Eidgenössische Departement des Innern veröffentlichte im Jahr 2021 erstmals einen Bericht zur Umsetzung der Konvention. Dabei gaben die Behörden bekannt, dass durchschnittlich alle zweieinhalb Wochen in der Schweiz eine Frau an den Folgen eines solchen Übergriffs stirbt. Zudem sind jährlich etwa 27'000 Kinder von häuslicher Gewalt mitbetroffen.