Es sollte der grosse Wurf sein: die Energiekrise entschärfen und die Abhängigkeit fossiler Energie reduzieren. Quasi zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Gelingen sollte der Plan des Ständerates dank einer beispiellosen Solaroffensive. Grosse Photovoltaik-Anlagen in den Bergen sollten in einem dringlichen Verfahren gebaut werden und zwei Terawattstunden (TWh) Strom liefern. Im Fokus stehen die beiden Walliser Projekte in Gondo und in Grengiols.
Dafür wollte die kleine Kammer den Umweltschutz faktisch aushebeln. Das Ansinnen sorgte nicht nur inhaltlich für eine Kontroverse. Auch das Vorgehen löste Kritik aus: Die kleine Kammer schmuggelte ihren Plan quasi in die Debatte zum indirekten Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative. In dessen Schlepptau wollten die ständerätlichen Energieturbos ihre wichtigsten Begehrlichkeiten im Eiltempo durchs Parlament schleusen.
Kommission bessert nach
Im Nationalrat kam das am Montag nicht sonderlich gut an. «Meine Damen und Herren: So geht es nicht», kritisierte Thomas Aeschi (SVP/ZG). Es habe keine Vernehmlassung und auch keine Kostenschätzung gegeben. Matthias Jauslin (FDP/AG) bemerkte, der Ständerat habe nicht mit «der notwendigen Besonnenheit» gearbeitet. «Was uns präsentiert wurde, war keine leichte Kost.»
Viel Lob erhielt die Umweltkommission des Nationalrates. Diese habe ganze Arbeit geleistet und einen lösungsorientierten, parteiübergreifenden Kompromiss geschmiedet. «Jeder musste über seinen Schatten springen und Kröten schlucken», betonte Nadine Masshardt (SP/BE). In den Augen vieler Redner hat die Kommission das Gesetz massgeblich verbessert.
Ihren Teil dazu beigetragen dürfte auch die Einschätzung des Bundesamtes für Justiz. Es erachtet die Solaroffensive demnach als nicht verfassungskonform, wie die Bundesjuristen den Mitgliedern der nationalrätlichen Kommission in einem Schreiben mitteilten. Sprecherin Susanne Vincenz-Stauffacher (FDP/SG) bekräftigte, die Kommission habe die wichtigsten verfassungsrechtlichen Bedenken ausgeräumt.
Biotope sind ein No-go
Auch im Nationalrat bestand Konsens: Die Energiewende darf nicht auf Kosten der Natur gehen. Anders als der Ständerat möchte er Solaranlagen nicht von der Umweltverträglichkeitsprüfung befreien. Mögliche Investoren sollen auch eine Wirtschaftlichkeitsrechnung einreichen müssen. Entfallen soll einzig die Planungspflicht.
Handlungsbedarf ortet der Nationalrat auch bei den Gebieten, in denen keine Anlagen gebaut werden dürfen. Der Ständerat hatte nur Moorlandschaften explizit von der Solaroffensive ausgeschlossen. Ein Verbot sieht die grosse Kammer nun aber auch bei Biotopen von nationaler Bedeutung sowie Wasser- und Zugvogelreservaten vor.
Einen differenzierteren Weg möchte der Nationalrat auch bei Landschaften des Bundesinventars der Landschaften und Naturdenkmäler gehen. Auf diesen Gebieten soll der Bau von Photovoltaikanlagen zwar erlaubt werden. Allerdings bleibt die Pflicht zur «grösstmöglichen Schonung». Auch müssen «Wiederherstellungs- und Ersatzmassnahmen» getroffen werden. Zudem müssen die Solaranlagen vollständig zurückgebaut werden, sobald sie ausser Betrieb genommen werden.
Keine uneingeschränkte Solarpflicht
Zurückbuchstabiert hat der Nationalrat bei einem anderen brisanten Vorschlag des Ständerates: Die kleine Kammer schlägt vor, dass bei Neubauten ab 2024 eine Solaranlage-Pflicht gelten soll. Dadurch könne die Produktion von Solarenergie ohne zusätzliche Eingriffe in die Landschaft erheblich gesteigert werden, argumentierte die Mehrheit.
Das geht dem Nationalrat zu weit. Er möchte die Pflicht nur auf Gebäude beschränken, die grösser als 300 Quadratmetern sind. Allerdings lässt er den Kantonen eine Hintertüre offen. Auch bei kleineren Häusern sollen diese eine Pflicht einführen können. Den ökologischen Kräften passte das nicht. Von den potenziell 9000 Neubauten blieben damit nur 200 übrig, kritisierte Bastien Girod (Grüne/ZH). Sein Thurgauer Parteikollege Kurt Egger befand, angesichts dieses «Scheingefechts» sei es ehrlicher, gleich ganz auf eine Solarpflicht zu verzichten.
Ja zu höherer Grimsel-Staumauer – kommt das Referendum?
Der Nationalrat hat weiter entschieden, auch die Staumauererhöhung an der Grimsel in die Vorlage aufzunehmen. Dieses Projekt im Berner Oberland ist seit Jahren blockiert.
Laut dem dringlichen Gesetzesentwurf, der lediglich zwei Jahre in Kraft sein wird, soll es kein obligatorisches Referendum geben. Das Volk dürfte also nur das letzte Wort haben, sofern der Solaroffensive des Parlaments noch Widerstand erwächst. Am ehesten ist das von Umwelt- und Naturschutzverbänden zu erwarten. Bei dem Kompromiss des Nationalrates dürfte das eher unwahrscheinlich sein. Das Geschäft geht wieder zurück an den Ständerat.