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USA

Midterms: Demokraten bangen um Mehrheit

Die folgenreichen Zwischenwahlen in den USA haben begonnen. Die ersten Wahllokale öffneten am frühen Dienstagmorgen (Ortszeit) in östlichen US-Bundesstaaten wie Vermont, Ohio und New York.
Bild: Keystone/AP/David Goldman

Bei den "Midterms" in der Mitte der vierjährigen Amtszeit von Präsident Joe Biden wird über die Mehrheitsverhältnisse im Kongress, dem US-Parlament, abgestimmt. Zur Wahl stehen alle 435 Sitze im Repräsentantenhaus und 35 der 100 Sitze im Senat. Entschieden wird auch über zahlreiche Gouverneursposten und andere wichtige Ämter.

Bidens Demokraten droht der Verlust ihrer Mehrheit im Kongress, was den politischen Spielraum des Präsidenten empfindlich einschränken würde. Die Republikaner haben laut Umfragen gute Chancen, die Mehrheit im Repräsentantenhaus zu übernehmen. Im derzeit knapp von den Demokraten kontrollierten Senat werden Kopf-an-Kopf-Rennen um mehrere Sitze erwartet. Mit ersten aussagekräftigen Ergebnissen wird am frühen Mittwochmorgen mitteleuropäischer Zeit nach der Schliessung erster Wahllokale gerechnet.

Es ist die erste nationale Abstimmung in den USA seit der Präsidentschaftswahl von 2020 - auf die Chaos folgte. Der damalige Amtsinhaber Donald Trump weigerte sich, seine Niederlage einzugestehen. Der fortdauernde Einfluss des Republikaners schlägt sich bei der Wahl auf verschiedenen Ebenen nieder.

Am Vorabend des Wahltags deutete Trump an, dass er kommende Woche eine neue Kandidatur für das Präsidentenamt im Wahljahr 2024 bekanntgeben könnte. Trump stellte bei einem Auftritt in Ohio eine "sehr grosse Mitteilung" am 15. November in Aussicht. Zuvor waren bei Trumps Auftritt zur Unterstützung mehrerer Republikaner-Kandidaten auf Leinwänden Umfragezahlen eingeblendet worden, die ihm den grössten Zuspruch unter möglichen Bewerbern fürs Weisse Haus bescheinigten. "Vier weitere Jahre!", rief daraufhin die Menge.

Warum sind die Wahlen am Dienstag so wichtig - für Biden, für Trump, für die USA und darüber hinaus?

Für Biden

Der Wahlausgang entscheidet darüber, wie unbequem die kommenden zwei Jahre für den Präsidenten werden, was Biden in der zweiten Hälfte seiner Amtszeit politisch noch zustande bringen kann - und ob ihn das in eine Position versetzt, aus der er sich aussichtsreich für eine weitere Amtszeit bewerben kann. Erobern die Republikaner eine oder beide Kongresskammern, wird Biden ab Januar keine grösseren Gesetzesinitiativen mehr durchsetzen können. Ausserdem drohen ihm und seiner Regierung in dem Fall diverse parlamentarische Untersuchungen bis hin zu möglichen Amtsenthebungsverfahren. Sollte auch der Senat an die Republikaner fallen, bekäme Biden keine Personalien auf Bundesebene mehr durch, die in der Kammer bestätigt werden müssen. Das gilt auch für die bedeutende Besetzung von Bundesrichter-Posten.

Für Trump

Der Republikaner hat bei den "Midterms" auf vielen Ebenen die Hände im Spiel: Trump hat diverse Parteikollegen offensiv im Wahlkampf unterstützt. Darunter sind Republikaner, die seine unbelegten Behauptungen von der "gestohlenen" Wahl 2020 teilen und sich nach Trumps Vorbild weigerten, vorab zuzusichern, ein Wahlergebnis auch im Fall einer Niederlage anzuerkennen. Biden warnte vor "Chaos" und sprach von einer Gefahr für die Demokratie. Trump-Getreue bewerben sich teils für Ämter, die im US-Wahlapparat besonders wichtig sind: Gouverneure oder - zuvor kaum beachtete - "Secretaries of State", die in die Zertifizierung von Wahlergebnissen eingebunden sind. Sollten sich viele "seiner" Kandidaten durchsetzen, könnte Trump diesen Schwung für eine neue Präsidentschaftsbewerbung nutzen.

Für die Vereinigten Staaten

Die USA sind seit der turbulenten Präsidentschaftswahl 2020 und der gewaltsamen Attacke von Trump-Anhängern auf das Kapitol nie wirklich zur Ruhe gekommen. Bidens Hoffnung, das Land nach seinem Amtsantritt wieder zu einen, zerschlug sich. Die politische Stimmung ist extrem angespannt. Kurz vor der Wahl verstärkte ein brutaler Angriff auf den Ehemann der Spitzen-Demokratin Nancy Pelosi die Angst vor politisch motivierter Gewalt. Demokraten und Republikaner stehen sich so unversöhnlich und teils feindlich gegenüber wie selten, haben auf verschiedenen Politikfeldern fundamental unterschiedliche Pläne für das Land - zum Beispiel was Migration, soziale Sicherungssysteme und das Thema Abtreibung angeht. Übernehmen die Republikaner die Kontrolle im Kongress, dürften die kommenden zwei Jahre von Blockade, Reformunfähigkeit und parteipolitischen Kämpfen geprägt sein.

International

Obwohl es sich nicht um eine Präsidentenwahl handelt, könnten die "Midterms" auch über die Grenzen der USA hinaus Folgen haben. Die Republikaner im Repräsentantenhaus haben etwa damit gedroht, die grossangelegten US-Hilfen für die Ukraine auszubremsen oder gar zu blockieren, falls sie die Kongresskammer erobern. Das hätte das Potenzial, den Kriegsverlauf zugunsten Russlands zu beeinflussen. Beobachter vermuten hinter der Drohung allerdings eher den Versuch, Druck aufzubauen, um den Demokraten an anderer Stelle ein Entgegenkommen abzutrotzen. Insgesamt ist auch von Bedeutung, wie die US-Wahlen und deren Auszählung ablaufen. Sollte es ähnliche Turbulenzen geben wie bei der Präsidentschaftswahl 2020, würde dies das Bild der amerikanischen Demokratie im Ausland weiter ankratzen.

Lange Zitterpartie möglich

Mit ersten aussagekräftigen Ergebnissen wird am frühen Mittwochmorgen mitteleuropäischer Zeit gerechnet. Vorhersagen zufolge dürfte die Senatsmehrheit an mehreren knappen Rennen hängen. Es könnte daher Unsicherheiten bei der Stimmauszählung geben, womöglich auch rechtliche Anfechtungen der Resultate. Daher könnte es nach Experteneinschätzung mehrere Tage oder womöglich sogar Wochen dauern, bis feststeht, welche Partei künftig das Sagen im Senat haben wird. Auch Biden hatte die Bürger vor der Wahl zu Geduld aufgerufen. (sda/dpa)