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Attentat

Mehrere Tote und Dutzende Verletzte nach Explosion in Istanbul: Der türkische Albtraum ist plötzlich wieder da

Bei einem Attentat auf der Einkaufsstrasse Istiklal mitten in der türkischen Millionenmetropole Istanbul sind am Sonntag mindestens sechs Menschen getötet und Dutzende weitere verletzt worden. Die Behörden verhängten eine Nachrichtensperre.

Die Explosion ereignete sich am Sonntagnachmittag im Stadtzentrum von Istanbul.  
Bild: Francisco Seco / AP

Der Albtraum ist wieder da. Sirenengeheul und das Knattern der Polizei-Helikopter erfüllen die Luft über dem Taksim-Platz im Herzen der türkischen Me­tropole Istanbul. Mit rotierenden Blaulichtern warten reihenweise Rettungswagen am Eingang zur Flaniermeile auf dem Istiklal-Boulevard, auf der eine Stunde zuvor noch Tausende Menschen fröhlich und unbeschwert bummelten.

«Geht weg, geht auseinander, geht fort von hier», schreit ein bewaffneter Uniformierter in die Menge, die hinter den Absperrungen auf Nachricht von Vermissten wartet. «Je mehr Menschen beieinanderstehen, desto gefährlicher für alle – die niederträchtigen Täter könnten noch einmal zuschlagen.» Weinende, schreiende und verstörte Menschen werden von Zivilpolizisten aus der Fussgängerzone herausgeführt. «Sie ist in Stücke gerissen worden», schreit eine junge Frau. Fünf Jahre lang ist Istanbul verschont geblieben von Terroranschlägen, doch nun ist der Terror wieder da.

Die Explosion ereignete sich am späten Nachmittag

Zehntausende Menschen schieben sich an sonnigen Nachmittagen wie am vergangenen Sonntag den Istiklal-Boulevard entlang, wo die Geschäfte, Cafés und Restaurants auch sonntags geöffnet sind – Touristen ebenso wie Einheimische. Schulter an Schulter drängt sich die Menge in der Fussgängerzone. Um Strassenmusikanten und Eisverkäufer bilden sich dichte Trauben von Passanten, und wenn die altmodische Bimmelbahn vorbeifährt, müssen alle noch etwas enger zusammenrücken.

Um 16.20 Uhr Ortszeit (14.20 Uhr Schweizer Zeit) geht mitten in dieser Menge eine Bombe hoch . In Medienberichten ist von einer schwarz gekleideten Person in einer Kapuzenjacke die Rede, die vor der Explosion eine Tasche auf einer Sitzbank abgestellt habe. Bilder von Überwachungskameras im Internet zeigen, wie Menschen an der Bank vorbeiströmen, auch die Tasche ist zu sehen. Dann folgt die Explosion.

Mehrere Personen wurden bei der Explosion getötet. 
Bild: Erdem Sahin / EPA

Ein Handy-Video auf Twitter, das einige hundert Meter vom Explosionsort entfernt aufgenommen wird, zeichnet einen rot-orangenen Feuerball auf, der aus der Menschenmenge hochschiesst. Passanten auf der Istiklal laufen schreiend davon. Auf dem Pflaster liegen Tote und Verletzte.

Erinnerungen an das blutige Terrorjahr 2016

Präsident Recep Tayyip Erdogan spricht von einem Bombenanschlag, an dem nach ersten Erkenntnissen eine Frau beteiligt gewesen sein soll. Die Polizei sperrt den Boulevard. Erst in letzter Zeit war der Istiklal-Boulevard wieder aufgelebt. Schon lange vor der Pandemie war es hier still geworden – seit dem blutigen Terrorjahr von 2016, das die 16-Millionen-Stadt in Blut und Tränen tauchte.

Zwölf deutsche Touristen starben damals schon im Januar bei einem Selbstmordanschlag vor der Blauen Moschee; ein weiterer Anschlag mit mehreren Toten und vielen Verletzten folgte im März auf dem Istiklal-Boulevard – nur ein paar Meter vom jetzigen Tatort entfernt. Im Juni desselben Jahres starben zwölf Menschen bei einem Anschlag auf einen Polizeibus, und kurz darauf wurden fast 50 Menschen bei einem Terrorangriff auf den Flughafen getötet; Hunderte wurden verletzt.

Ein Anschlag vor dem Fussballstadion von Besiktas kostete im Dezember 2016 fast 50 Menschen das Leben, und in der letzten Nacht des Jahres erschoss ein Terrorist in einem Nachtclub am Bosporus fast 40 Menschen, die dort ins neue Jahr feierten.

Die türkische Rundfunkaufsicht erliess eine Nachrichtensperre

Damals gingen einige Anschläge auf das Konto des «Islamischen Staates» (IS), zu anderen bekannte sich die kurdische Splittergruppe TAK. Seitdem hat Erdogans Regierung die Terrorgefahr nach eigenen Angaben mit militärischen, geheimdienstlichen und juristischen Mitteln eingedämmt.

Kritiker hatten dem Präsidenten jedoch in der Vergangenheit vorgeworfen, die Gewalt aus wahltaktischen Gründen zeitweise geduldet zu haben. Eine ähnliche Debatte will die Regierung diesmal offenbar vermeiden: Die türkische Rundfunkaufsicht erliess gestern eine Nachrichtensperre, während die Staatsanwaltschaft erste Ermittlungen wegen «schädlicher» Kommentare in den sozialen Medien einleitete.