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Ukraine-Krieg

Mehr Selbstversorgung: Ständerat opfert Nachhaltigkeit für mehr Getreide

Seit dem Ukraine-Krieg wird der Ruf nach einer Anbauschlacht auf einheimischen Ackerböden laut. Erhört wird er vom Ständerat. Dafür möchte die kleine Kammer auch die Nachhaltigkeit über Bord werfen.

Mehr Nachhaltigkeit dank weniger Pestizideinsatz? Davon möchte der Ständerat nichts mehr wissen.
Bild: Keystone

Der Ukraine-Krieg befeuert auch in der Schweiz die politische Debatte um die Ernährungssicherheit. Heute liegt der Selbstversorgungsgrad bei 57 Prozent. Zu wenig, findet der Ständerat. Im Rahmen einer ausserordentlichen Session hat er am Mittwoch drei Vorstössen aus den Reihen der SVP und Mitte zugestimmt.

Die letzten Monate hätten gezeigt, dass die Schweiz ihre Versorgungssicherheit erhöhen müsse, sagte Werner Salzmann (SVP/BE). Sein Tessiner Parteikollege Marco Chiesa bemerkte, noch 1990 habe die Selbstversorgung über 60 Prozent betragen. Notwendig sei deshalb mehr Land für die Produktion einheimischer Nahrungsmittel.

Das Problem der Nachhaltigkeit

Auch den Schuldigen für diese Entwicklung haben die bürgerlichen Vertreter in der kleinen Kammer gefunden: Die Nachhaltigkeit oder genauer die Pläne des Bundesrates, den Pestizideinsatz auf Schweizer Feldern zu reduzieren. Mit einem Strauss von Massnahmen setzt die Landesregierung den vom Parlament beschlossenen inoffiziellen Gegenvorschlag zur Trinkwasserinitiative um.

Für rote Köpfe sorgt vor allem ein Element: Auf mindestens 3,5 Prozent der Ackerfläche müssen künftig spezifische Biodiversitätsförderflächen angelegt werden. Das seien 10’000 Hektaren, rechnete Chiesa. Auch nach Ansicht von Beat Rieder (Mitte/VS) sind die Folgen verheerend. Damit könnten Lebensmittel für eine Million Menschen fehlen – zumindest habe er das gehört.

Rieder schlug auch den Bogen zur internationalen Situation. Die Schweiz werde immer genügend Nahrungsmittel kriegen. Auf dem Weltmarkt konkurrenziere sie dadurch aber ärmere Staaten, betonte er.

Getreide ist nicht gleich Getreide

Für Maya Graf (Grüne/BL) ist das zu kurz gedacht. Hunger und Armut hätten verschiedene Ursache. Sie führte das Versagen der globalen Agrarwirtschaft ins Feld. Obwohl die Landwirtschaft heute doppelt so viele Kalorien pro Kopf produziere wie früher, gebe es nicht weniger Hunger.

Statt bei der Produktion anzusetzen, plädierte Graf dafür, weniger Fleisch zu essen und weniger Lebensmittel zu verschwenden. Es müssten mehr Getreide, Kartoffeln und Hülsenfrüchte direkt auf dem Teller landen. Auf 43 Prozent der Äcker werde heute Futtergetreide angebaut. «Den Selbstversorgungsgrad auf Kosten der Nachhaltigkeit zu erhöhen, ist eine denkbar schlechte Antwort», schloss Graf.

Für diese Argumente hatte die Mehrheit im Ständerat dann aber kein Gehör. Sie entschied, die Massnahme ganz aus der Verordnung zu streichen. Auch möchte sie den Bundesrat beauftragen, ein Massnahmenpaket auszuarbeiten, um Versorgungsabhängigkeit der Schweizer Bevölkerung von ausländischen Lebensmitteln zu verringern. Bereits am Mittwochnachmittag wird sich der Nationalrat mit den Forderungen beschäftigen.