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Kindesentführung

Mädchen taucht elf Jahre nach Entführung in der Schweiz auf – der Vater darf nicht einmal ein aktuelles Foto von ihr sehen

Eine Französin entführt nach einem Sorgerechtsstreit ihr eigenes Kind. Nach elfjähriger Flucht wird sie bei einer Polizeikontrolle in der Schweiz aufgespürt. Die Schweiz liefert die Frau an Frankreich aus, die unterdessen 16-jährige Tochter bleibt aber im Land. Ihr Vater leidet: Er hat kaum Chancen auf ein Wiedersehen.

Der Vater hat seine Tochter letztmals als Kleinkind gesehen.
Bild: Screenshot: RTS

Am Ursprung des Dramas steht ein Scheidungsstreit, der in ein Gerangel um das Sorgerecht und schliesslich in eine Entführung mündete. Ende Februar 2011 tauchte eine Mutter aus Carqueiranne im Süden Frankreichs mit der damals fünfjährigen Camille unter. Der Vater, früher Militärpilot bei der französischen Luftwaffe, hatte keine Ahnung, wo sie sich mit ihrer Tochter versteckte. Ein Gericht hatte sich für die gemeinsame Obhut entschieden. Das heisst, Camille sollte abwechslungsweise bei ihrer Mutter und ihrem Vater wohnen.

Der Mann suchte sein Kind mit Plakaten im öffentlichen Raum und schaltete die Medien ein. Er wandte sich zum Beispiel mit einem Lautsprecher vom Turm des Rathauses von Lille an Camille – vergeblich.

Die Mutter landet im Schengener Informationssystem SIS. Französische Gerichte verurteilten sie in Abwesenheit zu Haftstrafen von insgesamt sechs Jahren wegen Kindesentführung und falscher Anschuldigung. Sie warf ihrem Mann vor, sich an der Tochter vergangen zu haben. Die Gerichte taxierten diese Vorwürfe als haltlos. Die Mutter habe deshalb keine andere Möglichkeit gesehen, als mit ihrem Kind zu fliehen, sagte ihr Anwalt gegenüber dem Westschweizer Radio und Fernsehen RTS .

Bei einer Verkehrskontrolle aufgeflogen

Am 22. Februar dieses Jahres, fast elf Jahre nach der Entführung, kam es zur überraschenden Wende. Bei einer Verkehrskontrolle in Morges im Kanton Waadt flog die Mutter auf. Die Schweiz hat die Entführerin gestern nach Frankreich ausgeliefert, wie das Bundesamt für Justiz mitteilte. Sie hatte sich ohne Erfolg vor dem Bundesstrafgericht und dem Bundesgericht dagegen gewehrt.

Camille vor ihrer Entführung.
Bild: Bild: zvg

Die Mutter lebte gemäss eigenen Angaben seit fünf Jahren in der Schweiz, laut RTS mit einer falschen Identität. Der Anwalt des Vaters sagte, die Mutter habe sich einer sektenartigen evangelischen Gemeinschaft angeschlossen. Camille musste auf Geheiss ihrer Mutter ihren Namen ändern, wie aus dem Urteil des Bundesstrafgerichts hervorgeht. Gemäss der Zeitung «24 heures» in einer Art Homeschooling unterrichtet. Der Anwalt der Mutter erklärte, sie habe sich keiner Sekte, keiner extremistischen religiösen Bewegung angeschlossen. Sie habe ein normales Sozialleben gehabt und Leute getroffen.

Der Leidensweg des Vaters geht derweil weiter. Er hat seine Tochter bis jetzt nicht wiedergesehen. Gegenüber CH Media sagte er, die Schweizer Behörden hätten ihm das Sorgerecht faktisch entzogen.

«Ich weiss nicht einmal, wie meine Tochter aussieht. Ich darf nicht einmal aktuelle Fotos von ihr erhalten.»

Die mittlerweile 16-jährige Camille wohnt in einem Heim. Der Vater hat bloss eine Chance auf ein Treffen mit ihr, wenn sie dazu aus eigenem Willen bereit ist – aktuell ist das nicht der Fall. Für den Vater liegt der Grund dafür auf der Hand: Die Mutter habe Camille manipuliert und ihn notorisch als Bösewicht abgestempelt, sodass sie sich jetzt nicht melden wolle.

Das Friedensgericht von Morges schlägt vor, den Kontakt zum Vater nach und nach aufzubauen. Denkbar wären in einem ersten Schritt ein Briefwechsel, dann ein Telefongespräch und schliesslich ein Treffen in Begleitung einer Drittperson. Fest steht: Das Gericht wird Camille nicht dazu zwingen, ihren Vater zu treffen.