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Parlamentswahlen

Italien steht vor schwierigen Zeiten

In Italien sind am heutigen Sonntag 51,5 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Wer auch immer das Rennen machen wird: Die neue Regierung steht vor riesigen Problemen.

Staatspräsident Sergio Mattarella bei seiner Stimmabgabe in Palermo.
Bild: Igor Petyx / EPA

Konsumenten- und Gewerbeverbände haben errechnet, dass jede dritte italienische Familie wegen der explodierenden Energiepreise in den verbleibenden Monaten des Jahres nicht mehr in der Lage sein wird, die Strom- und Gasrechnungen zu begleichen. Die allgemeine Teuerung, die zuletzt auf 9 Prozent gestiegen ist, erodiert die Kaufkraft zusätzlich.

Wie in den meisten anderen europäischen Ländern wächst der soziale Unmut; auch in Italien droht ein heisser Herbst und - für viele Familien - ein kalter Winter, unabhängig von den drohenden Gas- und Stromrationierungen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Regierung des parteilosen Mario Draghi mit ihren bisherigen Hilfspaketen gegen die Auswirkungen der gestiegenen Energiepreise die Massnahmen weitgehend ausgereizt hat, die ohne massive Neuverschuldung noch möglich waren.

Der Schuldenberg Italiens hat ohnehin horrende Ausmasse angenommen. Er betrug schon vor der Pandemie rund 130 Prozent der Bruttoinlandprodukts, nach sechs Corona-Hilfspaketen und einem massiven Wirtschaftseinbruch liegt er nun bei 150 Prozent - und schränkt die Gestaltungsmöglichkeiten der Politik erheblich ein.

Die steigenden Zinsen und die Einstellung der Anleihenkäufe durch die Europäische Zentralbank schweben wie ein gigantisches Damoklesschwert über Italien - ein Anstieg der Zinsen um ein einziges Prozent erhöht die Ausgaben Italiens für den Schuldendienst um 30 Milliarden Euro.

Streitfall Ukraine-Krieg

Nach dem Sturz von Ministerpräsident Draghi, der als Garant für eine seriöse Finanzpolitik galt, haben die Risikozuschläge für italienische Staatsanleihen bereits markant angezogen. Sie bekomme «Herzklopfen», wenn sie an die Herausforderungen denke, die auf sie als neue Regierungschefin warten könnten, räumte die Wahlfavoritin Giorgia Meloni im Wahlkampf unumwunden ein.

Schwierig dürfte es für die neue Regierung auch werden, einen Konsens bezüglich des Ukrainekriegs zu finden - ebenfalls unabhängig von ihrer politischen Couleur. Giorgia Meloni und ihre postfaschistischen Fratelli d’Italia stehen zwar relativ glaubwürdig zur Nato, zu den Waffenlieferungen an Kiew und zu den Sanktionen gegen Moskau.

Ihre beiden Bündnispartner Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega und Silvio Berlusconi dagegen sind Putin-Verehrer und haben nie einen Hehl aus ihrer Ablehnung gegen die Waffenlieferungen und die Sanktionen gemacht. Berlusconi verstieg sich vor drei Tagen sogar noch zur Aussage, Putin habe den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj lediglich durch «anständige Menschen» ersetzen wollen.

Er löste damit im In- und Ausland einen Proteststurm aus. Aber auch eine Mitte-links-Regierung hätte grösste Mühe, sich auf eine gemeinsame Linie zu einigen: Sie wäre auf die Unterstützung der Fünf-Sterne-Bewegung und die radikale Linke angewiesen, die ebenfalls strikt gegen Waffenlieferungen sind.

Italienerinnen und Italiener sind politikverdrossen wie nie zuvor

Ein Problem jeder künftigen Regierung ist auch die Politikverdrossenheit grosser Bevölkerungsteile: Um 12 Uhr hatten gestern knapp 20 Prozent der wahlberechtigten Italienerinnen und Italiener ihre Stimme abgegeben - etwa gleich viele wie bei den letzten Parlamentswahlen im Frühling 2018. Das Zwischenresultat vom Mittag liess erahnen, dass die Stimmbeteiligung für italienische Verhältnisse erneut tief ausfallen würde.

Das Vertrauen der Italienerinnen und Italiener in ihre Parteien und Politiker ist durch den Sturz Draghis im Juli zusätzlich erschüttert worden: Dass die Fünf-Sterne-Protestbewegung, die Lega und die Forza Italia von Berlusconi dem beliebten Mario Draghi ohne ersichtlichen sachlichen Grund das Vertrauen entzogen und damit die vorgezogenen Neuwahlen provoziert haben, ist bei sehr vielen Bürgerinnen und Bürgern auf Unverständnis gestossen und hat in ihnen den Eindruck verstärkt, dass es den Politikern nicht um das Gemeinwohl und um das Land, sondern einzig um ihre eigenen Parteiinteressen gehe.

Die Wahllokale sind am Sonntag noch bis 23 Uhr geöffnet, anschliessend werden rasch die ersten Hochrechnungen erwartet.