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Europa

Italien: Das Scheitern der EU-Asylpolitik

Es hat nicht viel gebraucht, um das Scheitern der europäischen Asylpolitik offenzulegen: eine Handvoll privater Rettungsschiffe, ein paar Hundert aus Seenot gerettete Migranten, ein Regierungswechsel in Rom.
Bild: Keystone/SOS Humanity/Max Cavallari

Unter der neuen rechten Ministerpräsidentin Giorgia Meloni fährt Italien einen migrationsfeindlichen Kurs. Mit dieser Politik kommen Bilder zurück, die bereits vor einigen Jahren für Schlagzeilen gesorgt hatten. Verzweifelte Flüchtlinge und Migranten, frustrierte Seenotretter und eine hilflose EU-Kommission in Brüssel. Es droht eine neue Zerreissprobe.

In den vergangenen Jahren war es ruhiger geworden, was die ansonsten meist eher schrille Diskussion über die EU-Asylpolitik betrifft. Das hatte auch mit der konstruktiveren Zusammenarbeit der nun ausgeschiedenen Regierung von Mario Draghi in Rom zu tun. Die drang in Brüssel zwar auf italienische Interessen und setzte auch privaten Seenotrettern zu, hielt an der Kooperation mit den anderen EU-Staaten aber fest.

Meloni und ihr Innenminister Matteo Piantedosi haben nun einen Kurswechsel vollzogen. Tagelang liess die Regierung zuletzt Seenotretter und Migranten warten, ehe sie in einen Hafen einfahren durften. Erst durften nur Frauen, Kinder und Kranke an Land. Hilfsorganisationen und internationale Partner waren empört. Als die Lage nach Ansicht des Gesundheitsamts von Catania untragbar wurde, konnten auch alle anderen Menschen die Schiffe verlassen.

Bizarr sei die Entscheidung des Gesundheitsamts, sagte Meloni. Die Menschen seien Migranten, nicht Schiffbrüchige, und deshalb müsse Italien sie nicht an Land lassen. Einem anderen Schiff, der "Ocean Viking", verweigerte Rom die Einfahrt grundsätzlich - es musste mit 234 Migranten an Bord Richtung Frankreich abdrehen.

Die für die Einhaltung von EU-Recht zuständige EU-Kommission sah sich deshalb zu einem ungewöhnlichen Statement bemüssigt. "Die rechtliche Verpflichtung zur Rettung und zur Gewährleistung der Sicherheit des Lebens auf See ist klar und eindeutig - unabhängig von den Umständen, die die Menschen in Not versetze", hiess es Richtung Rom. Alle Geretteten an Bord der "Ocean Viking", die bereits seit mehr als zwei Wochen mit den Flüchtlingen auf dem Meer unterwegs war, müssten unverzüglich im nächsten sicheren Hafen an Land gehen können. Von einer "humanitären Tragödie", die drohe, war die Rede.

Wer denkt, dass die Kommission damit auch für alle anderen EU-Staaten spricht, täuscht sich. "Endlich! Wir schulden Georgia Meloni und der neuen italienischen Regierung ein grosses Dankeschön für den Schutz von Europas Grenzen", schrieb etwa Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban unter dem Hashtag #GrazieGiorgia auf Twitter.

Die römische Blockade lässt alte Wunden aufbrechen und zeigt, dass die EU es auch nach jahrelangem Streit nicht geschafft hat, eine tragfähige Asyl- und Migrationspolitik auf die Beine zu stellen. Dabei gab es zuletzt etwas Fortschritt, in Brüssel war sogar von "Momentum" die Rede, nachdem die Regierungen der EU-Staaten im Juni eine Einigung bei kleineren Teilen der Reform erzielten. Demnach sollen an den EU-Aussengrenzen strengere Regeln bei der Kontrolle von Schutzsuchenden gelten und die Fingerabdruck-Datenbank Eurodac soll in Zukunft unter anderem auch biometrische Daten erfassen. Umgesetzt werden können die Massnahmen allerdings noch nicht - das Europaparlament hat noch keine Position zu diesen Themen.

Um Länder wie Italien im Gegenzug zu diesen Regeln zu entlasten, einigten sich rund 20 EU-Staaten im Juni zugleich auf einen Mechanismus zur Unterstützung der Mittelmeerländer. Deutschland, Frankreich und elf andere Länder sagten zu, insgesamt mehr als 8000 Menschen aus Italien, Malta, Spanien, Zypern und Griechenland aufzunehmen.

Allein: Gut vier Monate später sind insgesamt erst 112 Migranten aus Italien in andere Länder gebracht worden, davon 38 im August nach Frankreich und vor einem Monat 74 nach Deutschland. Dass es schneller vorangehen muss, weiss auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser.

Jedoch könnte die italienische Hafen-Blockade zum Gegenteil führen. So kündigt sich ein heftiger Streit zwischen Paris und Rom an. Frankreich drohte, nicht wie geplant 3500 Migranten aus Italien zu übernehmen, weil das Land mit seinem Vorgehen gegen internationales Völkerrecht verstosse. Innenminister Gérald Darmanin rief Deutschland und die anderen Staaten dazu auf, dem französischen Vorgehen zu folgen. Meloni verweist auf Vorwürfe von Flüchtlingshelfern, wonach Frankreich Migranten an der Grenze zu Italien systematisch zurückweist. Darmanin will die Kontrollen an der Grenze nun noch weiter verschärfen. (sda/dpa)