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Iran

Iranische Protestbewegung hofft auf Generalstreik – Studentinnen rufen Parolen gegen Präsident Raisi

Die Demonstrantinnen und Demonstranten rufen Geschäftsinhaber und Arbeiter zum Generalstreik auf, um die Wirtschaft zu lähmen und das Regime in Teheran zu stürzen. Dieses gibt sich weiter unnachgiebig. 

Irans Präsident Ebrahim Raisi spricht bei einer Veranstaltung für Studentinnen in Teheran. Das Regime sieht sich zunehmendem Wiederstand aus der Bevölkerung ausgesetzt. 
Bild: Iranian Presidential Office / EPA

Arbeiter der iranischen Ölindustrie sind nach Angaben von Aktivisten aus Protest gegen die Regierung in einen Streik getreten. Mehrere Oppositionsmedien berichteten am Montag von dem Ausstand in der Stadt Asalujeh am Persischen Golf. Die Arbeiter errichteten demnach Strassensperren, um Polizeifahrzeuge aufzuhalten. Die iranische Protestbewegung hofft auf einen landesweiten Generalstreik, um den Druck auf das theokratische Regime in Teheran zu erhöhen.

Der Streik der Ölarbeiter folgte auf einen blamablen Auftritt von Präsident Ebrahim Raisi bei einem Besuch einer Universität in Teheran. «Hau ab», riefen Studentinnen der Teheraner Alzahra-Universität während des Besuches. In einem Auditorium der Universität, an der ausschliesslich junge Frauen studieren, nannte der Präsident die Universitäten eine Hochburg des Widerstandes gegen die Feinde der Islamischen Republik – während draussen Sprechchöre wie «Mullahs weg» erschollen.

Kein Dialog zwischen Regime und Demonstranten

Zu dem Reinfall für Raisi bei dem Besuch trugen mehrere Faktoren bei, die den Protest gegen das theokratische System seit dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini in den Händen der Religionspolizei am 16. September prägen: Erstens zeigen vor allem junge Leute ihre Wut und tun das selbst in Anwesenheit des Präsidenten und ohne Angst vor Schlägen. Zweitens ist die Polizei nicht in der Lage, den Protest zu unterdrücken. Drittens dringen Fotos und Videos trotz aller Internetbeschränkungen der Regierung über die sozialen Medien an die Aussenwelt. Und viertens gibt es keinen Dialog zwischen den Herrschenden und den Demonstranten.

Der Schein trügt: Präsident Raisi posiert mit Studentinnen, draussen sangen Demonstrantinnen und Demonstranten.
Bild: Iranian Presidential Office / EPA

Zum Besuch des Präsidenten an der Universität kam am Wochenende noch eine andere Blamage für das Regime. Hacker der Gruppe «Edalat-e Ali» unterbrachen die Abendnachrichten im iranischen Staatsfernsehen während eines Berichts über Revolutionsführer Ali Khamenei mit einer Einblendung, die Khameneis Gesicht im Fadenkreuz einer Waffe und von Flammen umgeben zeigte. Dazu wurden dramatische Musik und ein Schlachtruf der Demonstranten – «Frauen, Leben, Freiheit» – eingeblendet.

Unter Khameneis Bild erschienen Fotografien von Mahsa Amini und drei anderen Frauen, die bei den Protesten ums Leben gekommen sind, sowie der Text: «Das Blut unserer Jugend klebt an deinen Klauen.» Dann war wieder der Nachrichtensprecher zu sehen.

Mahsa Amini: Ihr Tod löste die seit Wochen andauernden Proteste im Iran aus. 
Bild: Sedat Suna / EPA

Auch wenn der Hacker-Angriff nur zwölf Sekunden dauerte, zeigte er doch, dass die Protestbewegung über technische Mittel verfügt, um das Regime anzugreifen. Auf den Strassen des Landes gehen die Demonstrationen weiter. Die Zahl der Todesopfer seit Mitte September ist nach einer Zählung der iranischen Exil-Menschenrechtsorganisation IHR inzwischen auf 185 gestiegen. Mehrere hundert Menschen wurden verletzt, Tausende sollen verhaftet worden sein.

Das Ende der islamischen Republik?

Versuche von Raisis Regierung, den Demonstranten den Wind aus den Segeln zu nehmen, sind bisher gescheitert. So veröffentlichten die Behörden einen offiziellen Bericht über den Tod von Mahsa Amini, um Vorwürfe zu entkräften, die junge Frau sei von der Religionspolizei totgeprügelt worden.

Dass die 22-jährige an unerkannten Vorerkrankungen gestorben sein soll, wie es in dem Bericht hiess, widerspricht jedoch Schilderungen ihrer Familie und von Augenzeugen. Ein ähnliches Muster gibt es im Fall einer 17-jährigen, die bei den Protesten umkam: Die Behörden sagen, Nika Shakarami sei von einem Gebäude gestürzt – ihre Familie berichtet, dem Mädchen sei der Schädel eingeschlagen worden.

Die Proteste im ganzen Land reissen nicht ab, so wie auch hier in der Hauptstadt Teheran.
Bild: Str / EPA

Die Demonstranten rufen Geschäftsinhaber und Arbeiter zum Generalstreik auf, um die Wirtschaft zu lähmen und das Regime in Teheran zu stürzen. «Ein Generalstreik würde alles verändern und wäre das Ende der Islamischen Republik», schrieb der Iran-Experte Roham Alvandi von der London School of Economics on Twitter. Aus dem iranischen Kurdengebiet im Westen des Landes, der Heimat von Mahsa Amini, werden seit Tagen immer wieder Streiks gemeldet. Landesweite Arbeitsniederlegungen gibt es bisher aber nicht.

Die «Financial Times» berichtete aus Teheran, Händler im Basar der Hauptstadt hätten zum ersten Mal seit Ausbruch der Proteste ihre Geschäfte geschlossen, weil sie ihre Waren vor möglichen Schäden durch Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei schützen wollten. Bisher gibt es aber keine Anzeichen dafür, dass die Basarhändler dem Streikaufruf der Demonstranten folgen. Die Haltung der Händler bei den Protesten ist wichtig: Im Jahr 1979 verhalfen sie der islamischen Revolution zum Sieg über das damalige Schah-Regime.