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Proteste

Iran: Kurden schliessen Läden, Verwirrung in der Hauptstadt Teheran und ein Appell des Ex-Präsidenten

Erneut folgen zahlreiche Menschen im Iran den landesweiten Protestaufrufen. Besonders angespannt ist die Lage in der Kurdenregion. In Teheran sorgt eine Warnmeldung für Verwirrung.

Läden bleiben geschlossen. Wie hier am 5. Dezember 2022 sah es am Dienstag vor allem in kurdischen Gebieten des Irans aus.
Bild: Str/EPA

Zahlreiche Ladenbesitzer im Iran haben am dritten Tag in Folge ihre Geschäfte aus Protest nicht geöffnet. Das berichteten unter anderem Bewohner der Provinz Kurdistan am Mittwoch. Der Staat hat in der Region schon ein massives Aufgebot von Sicherheitskräften zusammengezogen. Auch gepanzerte Fahrzeuge sollen in den Kasernen stationiert worden sein.

In der Hauptstadt Teheran berichteten Augenzeugen aus Sorge vor Ausschreitungen von einer angespannten Lage. Viele Geschäfte blieben dort zunächst aber offen.

Hackerangriff oder fehlgeschlagener Warntest?

Für Verwirrung sorgte eine Erdbebenwarnung am Nachmittag. Die mutmasslich durch einen Hackerangriff ausgelöste Warnung forderte alle Empfänger auf, ihre Häuser zu verlassen. Von Behördenseite wurde später ein Hackerangriff dementiert, es soll sich um einen fehlgeschlagenen Warntest gehandelt haben.

Präsident Ebrahim Raisi zeigte sich bei einem Treffen mit systemtreuen Studenten kämpferisch. Er erneuerte seine Behauptung, dass die USA die Proteste anheizten und den Iran zerstören wollten. Beobachter sehen darin jedoch ein Manöver, um von den eigentlichen Ursachen der Proteste abzulenken.

Am Dienstag war Irans Staatsoberhaupt Ajatollah Ali Chamenei mit dem Obersten Rat der Kulturrevolution zusammengekommen. Bei dem Treffen mit Raisi, Parlamentspräsident Bagher Ghalibaf und Justizchef Gholam-Hussein Mohseni-Edschehi soll es Berichten zufolge um eine mögliche Entscheidung über die Zukunft der Sittenpolizei gegangen sein.

Nach Einschätzung von Experten könnte der Kopftuchzwang auch bei einer Abschaffung der berüchtigten Einheit weiter verfolgt werden, etwa durch Videoüberwachung.

Ex-Präsident warnt aktuelle Regierung

Der frühere iranische Präsident Mohammed Chatami warnte die Führung des Landes vor einer weiteren Unterdrückung der Proteste. «Man sollte Sicherheit nicht als Vorwand nehmen, um Freiheit zu unterdrücken», wurde der islamische Geistliche von der Tageszeitung «Shargh» zitiert. Chatami mahnte, die Forderungen ernst zu nehmen. Die Protestbewegung fordere mit dem «schönen Slogan: Frau, Leben, Freiheit» eine bessere Zukunft. Die Politik sollte ihr die Hand reichen, «bevor es zu spät ist». Chatami war Präsident zwischen 1997 und 2005.

Aber auch Chatami wird insbesondere von jungen Anhängerinnen der Protestbewegung als «Mann des Systems» abgelehnt. Der Ex-Präsident befürwortet als islamischer Kleriker den Kopftuchzwang. Mitte November hatte er Forderungen nach einem politischen Systemwandel zurückgewiesen.

Beobachtern zufolge könnte Chatami jedoch eine wichtige Vermittlerrolle in der festgefahrenen politischen Situation einnehmen. Ein Grossteil der Demonstranten hält Reformen aber für unmöglich und fordert einen Machtwechsel.

Auslöser der Proteste Mitte September war der Tod der iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini. Sie starb im Polizeigewahrsam, nachdem sie wegen angeblichen Verstosses gegen die islamischen Kleidungsvorschriften verhaftet worden war. Nach Einschätzungen von Menschenrechtlern wurden seither mindestens 470 Demonstranten getötet und rund 18'000 Menschen verhaftet.