Man wähnt sich derzeit in einem Déjà-vu. Sowohl auf der Makro- als auch auf der Mikro-Ebene. Auf der Makro-Ebene scheint die ganze Welt – und mit ihr die Schweiz – von einer Krise in die nächste zu schlittern. Als wären die Krisen Staffelläufer, die sich nach einer Verwüstungsrunde um den Globus den Krisenstab weiterreichen.
Auf der Mikroebene geht es auch um Krisenstäbe – oder um das Fehlen ebendieser. Wie schon in der Coronakrise scheint sich der Bund irgendwie durch die drohende Strommangellage wursteln zu wollen. Zumindest monieren das die Parteien von links bis rechts. Wer schuld daran hat, ist ebenfalls klar: die anderen. Links-grüne Utopien oder rechte Scheuklappenpolitik. Technologieverbote oder Fortschrittsverhinderer.
Auf der Nano-Ebene, also in der SRF-«Arena», manifestierte sich dies. Diskutiert haben:
Christian Imark, Nationalrat SVP
Gabriela Suter, Nationalrätin SP
Christian Wasserfallen, Nationalrat FDP
Philipp Matthias Bregy, Fraktionspräsident Die Mitte
Aline Trede, Fraktionspräsidentin Grüne Beat Flach, Nationalrat GLP
Die Mitte will die Strommangellage, die Grüne spricht von Alarmismus
Im ersten und mit Abstand längstem Teil der Sendung ging es um die Frage, ob die Schweiz bereit sei für eine etwaige Strommangellage. Hier liess sich ein seltenes Phänomen beobachten: Man war sich einig. Zumindest teilweise. Die Schweiz müsse mehr tun. Was genau dieses «Mehr» jedoch sein sollte, darüber schieden sich die Geister.
Mitte-Nationalrat Philipp Bregy forderte, der Bundesrat müsse die Strommangellage ausrufen. Denn der Stromverbrauch scheine nicht zu sinken. «Wenn Geschäfte die Beleuchtung ihrer Schaufenster nicht freiwillig ausschalten, dann muss das halt verordnet werden. Und dafür braucht es die Strommangellage.» Anders seien diese Verordnungen nicht möglich.
Grünen-Fraktionspräsidentin Aline Trede sah das etwas anders. Sie verstehe den Alarmismus nicht, der derzeit praktiziert werde. Die Schweiz leide nicht unter Strommangel, sondern unter einem Effizienzproblem. «Wir könnten mit Stromsparen so viel erreichen. Ein bis zwei Grad weniger heizen, und dann können wir es durch den Winter schaffen». Später fügte sie noch an: «Die beste Energie ist jene, die wir nicht verbrauchen.»
«Dass der Naturschutz kein Wert mehr haben soll, das verstehe ich einfach nicht»
Zu den ersten richtigen Streitereien kam es allerdings erst, nachdem ein Interview von Moderator Sandro Brotz und Wirtschaftsminister Guy Parmelin ausgestrahlt wurde. Darin legte der Bundesrat dar, dass die Schweiz alles in ihrer Macht Stehende gemacht habe, um sich vorzubereiten. Mantraartig wiederholte Parmelin zudem, dass nun alle an einem Strick ziehen müssten. «Jede Kilowattstunde zählt». Ein weiteres Déjà-vu.
Philipp Bregy schüttelte ob diesen Aussagen nur den Kopf. «Wir haben in den letzten 10 Jahren im Namen des Umweltschutzes freiwillig auf 1,2 Terawattstunden Strom verzichtet. Strom für 300’000 Haushalte.» Anstatt irgendwelcher Vorschläge, dass man zu zweit oder zu dritt duschen solle, wäre es nun elementar, dies nachzuholen.
Aline Trede konterte ruhig, aber bestimmt. «Wir haben den Umweltschutz nicht zu fest gewichtet. Sonst würde es in der Schweiz heute anders aussehen.» Denn: Die Grünen hätten vor 20 Jahren schon eine Solaroffensive gefordert. Etwas kontradiktorisch fügte sie noch an: «Ihr geht auch alle gern in die Natur, um ein schönes Wochenende zu haben. Dass der Naturschutz kein Wert mehr haben soll, das verstehe ich einfach nicht.»
Suter und Imark wie ein toxisches Liebespaar
Weniger ruhig ging es zwischen Gabriela Suter und Christian Imark zu und her. Das Duo erinnert an eine toxische Liebesbeziehung. Die beiden gerieten schon bei der letzten Strom-«Arena» aneinander und konnten auch am Freitag kaum in einer normalen Tonlage miteinander diskutieren.
Imark referierte über die Energiestrategie 2050, Darüber, dass die vollständige Dekarbonisierung und der «ideologisch verblendete» Ausstieg aus der Kernenergie dazu geführt habe, dass die Schweiz so schlecht dastehe, wie sie es nun tut.
Suter konterte, dass die Schweiz ohne die Energiestrategie 2050 noch schlechter dastehen würde. Ausserdem habe die jetzige Krise nichts damit zu tun. Allein Putin, das Gas und die abgeschalteten AKWs in Frankreich wären das Problem.
Kurzauftritt Beat Jost. Der pensionierte Cern-Physiker fungierte als Teilchenbeschleuniger und sorgte mit einer Aussage für eine Explosion. Die Energiestrategie habe sehr wohl etwas mit der aktuellen Strommangellage zu tun. «Sie beruht darauf, dass die Franzosen Kernkraftwerke haben und die Deutschen Kohle- und Gaskraftwerke.»
Rumble in the Jungle
Danach brach das totale Tohuwabohu aus. GLP-Nationalrat Beat Flach holte zum Rundumschlag aus: Die aktuelle Lage der Energiestrategie 2050 in die Schuhe zu schieben, sei grotesk. Die Energiepolitik der letzten 60 Jahre sei Schuld. Die SVP wolle fossile Energien aus fragwürdigen Ländern beziehen und teuren Atomstrom, der bis fast in alle Ewigkeit strahlen werde. «Vermischen wir jetzt nicht diese durch einen Krieg hervorgerufene Lage mit einem Wegkommen von klimaschädlicher und zerstörerischer Energieproduktion.»
In bester liberaler Manier blies dann auch noch FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen zum Angriff. Die Energiewende sei eine Importstrategie und definitiv keine, die sich je um die Versorgungssicherheit gekümmert hätte. «Man hat einfach allen ein wenig Subventiönchen verteilt und auf eine krasse Art und Weise vergessen, dass wir ein Winterstromproblem haben.»
Deswegen seien grosse alpine Solaranlagen auch nur gut, wenn man diese mit Stauseen und Pumpspeicherwerke kombinieren würde. «Wir haben im Sommer zu viel Solarstrom und im Winter zu wenig. Also müssen wir schauen, was wir im Sommer damit machen können». Wasserfallen plädierte für Technologieoffenheit. Power to Gas sei eine Möglichkeit, «aber dann müssen wir die Offenheit haben, dieses Gas in der Mobilität auch einzusetzen. Und nicht wie die EU sagen, es dürfen nur noch E-Autos herumfahren.»
SVP-Imark hielt hingegen gar nichts von Solaranlagen. Er klang zu diesem Zeitpunkt schon wie ein kaputter Geigerzähler, pardon, eine kaputte Schallplatte. Denn die einzige Lösung, die es gemäss Imark für das Winterstromproblem gebe, seien Kernkraftwerke. Er wurde nicht müde, dies den ganzen Abend lang zu betonen. «Die 45 Terawattstunden aus einer Solaroffensive sind kein Winterstrom. Wir müssen technisch diskutieren. Die ETH sagt, dass totale Dekarbonisierung ohne AKWs drei Mal so viele Dächer bräuchte wie verfügbar.»
Die Diskussion endete ergebnislos. Ein Gewinner war auch nicht auszumachen, da man den Pfad der gesitteten Diskussion bereits nach 20 Minuten verliess. Das Schlusswort gebührt deswegen dem Architekten Hannes Heuberger:
«Ob Solarenergie die Stromlücke schliessen kann, kann ich nicht beurteilten. Was ich jedoch feststelle: Wir gehen seit Generationen zu fahrlässig um mit Energie. Und warum? Weil sie viel zu günstig ist. Der Liter Benzin hätte vor 20 Jahren schon fünf Franken kosten müssen. Dann hätten wir heute besser isolierte Häuser, es würde weniger Auto gefahren und die Technologie der erneuerbaren Energien wäre viel weiter.»