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New York

Hungersnöte, Klimakrise und ein Krieg, der alles überschattet:  Die Generaldebatte der Vereinten Nationen beginnt

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wird bei der heute beginnenden UNO-Generaldebatte viel Raum einnehmen. Dieser ist aber bei weitem nicht die einzige Krise, die bei der diplomatischen Grossveranstaltung in New York für Spannungen sorgen wird. 

Flaggen vor den UNO-Hauptquartier in New York. Ab heute findet hier die Generaldebatte statt, die vom Krieg in der Ukraine geprägt sein wird.
Bild: Justin Lane / EPA

Mehr 140 Staats- und Regierungschefs legen ab heute in New York eine Woche lang ihre Sicht auf die globale Lage dar. Die Invasion Russlands in die Ukraine dürfte dabei das allgegenwärtige Thema des 77. Treffens im UNO-Hauptquartier am New Yorker East River anlässlich der Generaldebatte werden.

Schliesslich reicht der grösste Konflikt in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg weit über den Kontinent hinaus – «die geostrategischen Gräben» seien so gross wie seit mindestens dem Kalten Krieg nicht mehr, sagte UNO-Generalsekretär António Guterres, der die Debatte eröffnen wird.

Hoffnung auf Bewegung

Die Präsidenten der beiden Konfliktparteien werden indes nicht persönlich auftreten. Russland wird in Abwesenheit von Kremlchef Wladimir Putin von Aussenminister Sergej Lawrow vertreten, dessen Rede für Samstag eingeplant ist. Für die Ukraine spricht Präsident Wolodimir Selenski laut der Uno am Mittwoch mit Ausnahmegenehmigung per Video.

Für den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz ist es der erste Besuch bei der UNO als Kanzler.
Bild: Clemens Bilan / EPA

Zuvor soll US-Präsident Joe Biden sprechen. Es wird erwartet, dass er Putin deutlich verurteilen. Dasselbe wird auch von der Rede des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz erwartet. Neun Monate nach seinem Amtsantritt ist es für Scholz der erste Besuch bei den Vereinten Nationen.

Vor den beiden weltpolitischen Schwergewichten soll bereits am Dienstagnachmittag der Schweizer Bundespräsident Ignazio Cassis, der die Schweiz an der Generaldebatte vertritt, eine Rede halten. Voraussichtlich wird er in seiner Rede die Bedeutung der UNO in einer herausfordernden Zeit unterstreichen.

Der Krieg zerstört die Leben Hunderttausender Zivilisten in der Ukraine, so wie hier im kürzlich befreiten ostukrainischen Isjum. 
Bild: Evgeniy Maloletka / AP

Grosse Fortschritte in Richtung Frieden in der Ukraine werden am Ende dieses diplomatischen Treffens der Superlative nicht erwartet. Aber es gibt zumindest Hoffnung auf Bewegungen bei einzelnen Themen – wie etwa eine Entschärfung der Lage um das Atomkraftwerk Saporischschja. Wenig Fortschritt erwarten westliche Diplomaten derweil auch bei den stockenden Verhandlungen um das iranische Atomprogramm. Irans Präsident Ebrahim Raisi soll am Mittwoch sprechen.

Drohende Hungersnöte und die Klimakatastrophe

Neben der nuklearen Gefahr sind im Zuge des Kriegs in der Ukraine auch drohende Hungersnöte ein Thema bei der UNO. Denn der Krieg und blockierte Lieferungen von Millionen Tonnen Getreide haben das Risiko von Hungersnöten am Horn von Afrika weiter erhöht. Vor allem in Somalia sind den Vereinten Nationen zufolge wegen einer beispiellosen Dürre Millionen Menschen vom Hungertod bedroht. US-Aussenminister Antony Blinken veranstaltet deshalb einen Gipfel zu Nahrungsmittelsicherheit, an dem auch Bundeskanzler Scholz teilnehmen soll.

Eine Mutter hält ihr unterernährtes Kind in einem Vorort von Mogadischu, der Hauptstadt Somalias. Millionen Menschen sind in dem langjährigen Bürgerkriegsland vom Hungertod bedroht.
Bild: Farah Abdi Warsameh / AP

UNO-Generalsekretär António Guterres hatte zuletzt gesagt, dass bis zu 1,7 Milliarden Menschen – mehr als ein Fünftel der Menschheit – von Hunger und Armut bedroht sind. Der Mangel an Düngemitteln auch wegen fehlender Exporte aus Russland könnte im kommenden Jahr zu einer weiteren Zuspitzung der Lage führen.

UNO-Generalsekretär António Guterres.
Bild: Justin Lane / EPA

Nach der Meinung von Guterres sollte eigentlich auch das Jahrhundertthema Klimakatastrophe ganz oben auf jeder Agenda stehen. Hitzewellen, Dürre, Waldbrände, Extremwetter wie in Europa und den USA oder die beispiellosen Regenfällen wie zuletzt in Pakistan, seien zur Normalität geworden. Derweil stocke der Kampf für niedrigere CO2-Emissionen und Klimaneutralität vor allem bei den Industriestaaten der G20. Guterres will deshalb bereits am Mittwoch einen Runden Tisch dazu einberufen.

Zahlreiche weitere Konflikte auf der Agenda

Zu reden geben werden bei der 77. UNO-Generaldebatte auch die Turbulenzen in der Sahelzone – vor allem in Mali und in Libyen wo, genauso wie in der Ukraine, kriegerische Konflikte schwelen. Auch die Situation im langjährigen Bürgerkriegsland Syrien sowie im Kongo sollen besprochen werden. Dazu kommt der Krieg in Äthiopien, der im November 2020 begonnen hatte. In verschiedenen Regionen des Landes finden derzeit Militäraktionen der äthiopischen Armee und bewaffneten Akteuren der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) sowie der Oromia Liberation Army (OLA) und anderen bewaffneten Gruppen statt.

Äthiopische Soldaten bei einer Parade in der Hauptstadt Addis Abeba.  
Bild: AP

Neben den zahlreichen Konflikten überraschten die USA zuletzt auch mit einem Vorstoss zu einer Reform des UNO-Sicherheitsrats als mächtigstem Gremium der Organisation. Die USA sind offen dafür, den bislang 15-köpfigen Rat zu erweitern. Dafür soll es in den kommenden Tagen Gespräche mit Mitgliedsstaaten geben.

Deutschland spricht sich seit Jahren für eine Reform aus und hofft auf mehr Einfluss im Sicherheitsrat. Dort haben die fünf ständigen Mitglieder USA, Russland, China, Frankreich und Grossbritannien Vetorecht und können damit alle Handlungen blockieren. Das war zuletzt angesichts des Kriegs in der Ukraine erneut deutlich geworden.

UN-Experte Richard Gowan vom Thinktank Crisis Group sieht darin auch einen geschickten Schachzug der USA gegen Moskau und Peking. «Es ist eine clevere Art, China und Russland in Verlegenheit zu bringen, denn wir alle wissen, dass die Länder, die am allergischsten auf die Ideen der Ratsreform reagieren, Russland und China sind.»