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Sozialdemokratie

Heftiger Knatsch in der Tessiner SP um den Regierungsratssitz – Spaltung der Partei ist nicht ausgeschlossen

Die abgeschirmte Kandidatur von Marina Carobbio für die Regierungsratswahlen sorgt für Ärger. Der Vizekantonalpräsident ist mit sofortiger Wirkung zurückgetreten. Kommt es zur Spaltung der Partei?

SP-Ständerätin Marina Carobbio Guscetti will im kommenden Jahr den Sprung in die Tessiner Regierung schaffen.
Bild: Bild: Anthony Anex / Keystone

Im Tessin nähern sich die kantonalen Erneuerungswahlen von 2023. Die SP will ihren einzigen Sitz in der fünfköpfigen Regierung verteidigen. Doch bei der Partei liegen die Nerven blank. Seit Monaten schwelt ein Streit zur Auswahl der Kandidatinnen und Kandidaten für den Regierungsrat. Vorläufiger Höhepunkt des internen Händels: Vizepräsident Evaristo Roncelli ist dieser Tage mit sofortiger Wirkung zurückgetreten. In seinem Demissionsschreiben beklagt er eine Parteileitung, die immer weiter nach links abgleite, sowie eine mangelnde Diskussionskultur, welche ausserhalb eines «Einheitsdenkens» keine abweichende Meinung toleriere.

Der Hintergrund: Im September hatte das Kantonalkomitee einer gemeinsamen «links-progressiven» Staatsrats-Liste mit den Grünen zugestimmt. Das bedeutet: Von fünf Kandidierenden werden SP und Grüne jeweils zwei Personen bestimmen, eine fünfte Person wird aus der Zivilgesellschaft ausgewählt. Das Findungskomitee der SP hat dann entschieden, neben der altgedienten SP-Ständerätin Marina Carobbio (56) noch Yannick Demaria als zweiten Kandidaten vorzuschlagen. Der 21-jährige Student und Juso-Mitglied, ein Aktivist der Klimajugend, ist weitgehend unbekannt. Die Kandidatur wird denn auch ehrlicherweise als «begleitende Kandidatur» bezeichnet.

Partei hätte sich mehr interne Konkurrenz gewünscht

Die gemeinsame Liste ist so konstruiert, dass Marina Carobbio de facto keine interne Konkurrenz erhält und ihre Wahl als sicher gelten kann, sofern die Liste genügend Stimmen erhält. Genau diese Strategie stösst vielen Parteigängern auf, welche sich mehr Vielfalt und interne Konkurrenz gewünscht hätten.

Zu dieser Vielfalt gehört konkret eine Person: die 44-jährige Amalia Mirante. Sie ist Dozentin für Ökonomie an der Fachhochschule der italienischen Schweiz und hatte schon vor etlichen Monaten erklärt, dass sie gerne für die SP kandidieren würde. Doch ihr Solo-Vorpreschen hatte den bestimmenden linken Flügel in der SP verärgert, zumal Mirante eher gemässigte sozialdemokratische Positionen vertritt und politisch kaum aktiv war. In ihrer Wohngemeinde Taverne betreute sie einmal die Friedhofsverwaltung. Doch sie bewegt sich mit Geschick und Sympathie in den sozialen Netzwerken und erklärt regelmässig Wirtschaftsthemen auf Instagram.

Mit einem offenen Brief unter dem Namen «Der perfekte Sturm» goss sie dann aber selbst Öl ins Feuer. «Wenn es mit dieser Parteileitung so weiter geht, werden wir ideologisch immer reiner sein, aber auch immer weniger Personen», hielt sie darin fest. Es sei wichtig, eine Liste aufzustellen, in welcher unterschiedliche Sensibilitäten vertreten seien. Damit meinte sie selbstverständlich auch sich selbst.

Mitte November trifft sich die Partei zum Kongress

Dies wiederum brachte die Co-Präsidenten Laura Riget (27) und Fabrizio Sirica (33) auf die Palme, welche in einem Brief an alle Mitglieder ihre Kritiker dazu aufriefen, nicht weiter als Heckenschützen aus den eigenen Reihen zu agieren. Die Entscheide für die Zusammensetzung der Liste (mit den Grünen) und der Kandidaten seien demokratisch und mit grosser Mehrheit gefällt worden. Dies gelte es zu respektieren. Punto e basta.

Doch die Diskussionen sind nicht verebbt. Manche Exponenten des gemässigt-sozialdemokratischen Flügels wie der ehemalige Locarneser Stadtrat Bruno Cereghetti sprechen gar von der Möglichkeit einer Spaltung der Partei. Sicher ist, dass am 13. November, wenn beim kantonalen SP-Kongress die Liste für die Regierungsratswahlen definitiv beschlossen wird, nochmals die Fetzen fliegen werden.

Ein Blick in die jüngere Geschichte zeigt im Übrigen, dass die Ängste der Parteiführung vor dem Erfolg einer gemässigten Kandidatin vielleicht nicht ganz unbegründet sind. So wurde 1999 die Sozialdemokraten Patrizia Pesenti in den Regierungsrat gewählt - gestandene Parteigrössen hatten das Nachsehen, darunter Marina Carobbio, die nur auf dem vierten Platz landete. Pesenti erhielt damals viel Unterstützung aus Nicht-SP-Kreisen. Ein solches Szenario könnte sich bei einer allfälligen Kandidatur von Amalia Mirante wiederholen, welche viele Sympathien ausserhalb der eigenen Partei geniesst. Doch dazu dürfte es wohl nicht kommen.