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Migration

Grenzwächter entdecken viel mehr illegale Migranten: Bundesrätin Karin Keller-Sutter äussert einen brisanten Verdacht 

Bis Ende August haben Schweizer Grenzwächter viel mehr Migranten aufgegriffen als im ganzen letzten Jahr. Befeuert Serbien im Verbund mit Russland die illegale Einwanderung, um Westeuropa zu destabilisieren? Jetzt äussern sich regierungsnahe Kreise aus Belgrad zu dieser Vermutung.

Schweizer Grenzwächter kontrollieren beim Bahnhof Buchs im Kanton St.Gallen illegale Einwanderer.
Bild: Bild: Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (November 2021)

Allein auf der Balkanroute registrierte die europäische Grenzschutzagentur Frontex im ersten halben Jahr rund 70'000 illegale Einwanderer – etwa dreimal so viele wie in der Vorjahresperiode. In der Schweiz zählten die Grenzwächter 23'755 rechtswidrige Aufenthalte. Das sind jetzt schon 5000 mehr als im gesamten letzten Jahr. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum steigenden Migrationsdruck.

1. Wo gelangen die meisten illegalen Migranten in die Schweiz?

Deutlich mehr als die Hälfte kommt via Österreich in den Kanton St.Gallen. Oft reisen sie mit dem Zug und werden dann in Buchs von den Grenzwächtern gestoppt. Der grösste Teil der Migranten stammt aus Afghanistan, viele auch aus nordafrikanischen Staaten und der Türkei. Bis Ende August identifizierten die Grenzwächter zudem 281 mutmassliche Schlepper. Für Aufsehen sorgte ein Menschenschmuggler, den die Kantonspolizei Nidwalden Anfang September stoppte. Der Gambier mit Wohnsitz in Italien wollte in einem Lieferwagen 23 Personen durch die Schweiz schleusen. Sie hatten andere Zieldestinationen wie Frankreich, Deutschland und England. Auf politischer Ebene ruft die SVP erwartungsgemäss nach verstärkten Grenzschutz. Am Montag wird der Bundesrat in der Fragestunde zum Thema Stellung nehmen.

2. Welche Auswirkungen hat das auf die Asylzahlen?

Noch Ende Juni rechnete der Bund bis Ende Jahr mit 16'500 Asylgesuchen. Jetzt hat er diesen Wert auf 19'000 nach oben korrigiert. Allerdings: Viele Migranten benutzen die Schweiz bloss als Transitland. Österreich hingegen verzeichnet einen sprunghaften Anstieg: Bis Ende August zählte Wien 56'000 neue Asylgesuche. Das sind jetzt schon deutlich mehr als im Vorjahr (40'000). Interessant: 7600 Gesuchsteller stammen aus Indien, 7100 aus Tunesien. Die Chance auf ein Bleiberecht tendiert gegen null. Aber: Menschen aus diesen Ländern dürfen ohne Visum nach Serbien einreisen.

3. Was hat die Visapolitik Serbiens mit der Migration zu tun?

Direkt betroffene Schengen-Staaten und die Schweiz intervenieren bei der EU-Kommission, damit sie die Visavergabe von Balkanstaaten wie Serbien auf die politische Agenda setzt. Das Ziel lautet: Serbien und die Balkanstaaten gleichen ihre Visapolitik der EU an. Womit wir bei einem heiklen Thema angelangt wären. Am Dienstag nahm Justizministerin Karin Keller-Sutter in Sarajevo an einer Ministerkonferenz teil, zu der Bosnien geladen hatte. Hauptthema: die anhaltend hohe irreguläre Sekundärmigration auf der Westbalkan-Route.

4. Warum ist das Thema heikel?

Weil: Im Gespräch mit dem «Echo der Zeit» äusserte Keller-Sutter am Dienstag einen brisanten Verdacht, den sie zuvor schon in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» angedeutet hatte: Russland spannt mit dem traditionell verbündeten Serbien zusammen, um Westeuropa durch eine wachsende Zahl an Migranten zu destabilisieren. Funktionieren würde das so: Serbien lässt Personen aus gewissen Staaten wie Indien oder Tunesien visumsfrei einreisen. Von dort aus werden diese von Schlepperbanden via Ungarn nach Österreich und in andere westeuropäische Staaten geschleust. Keller-Sutter bezog sich bei ihren Aussagen auf Gespräche mit EU-Staaten. Sie betonte explizit, es handle sich um nicht bestätigte Informationen. Auch habe nicht sie diesen Verdacht in die Welt gesetzt. Von CH Media kontaktierte Migrationsexperten halten die Vorwürfe an Serbien und Russland mit Verweis auf weitere Quellen für plausibel.

5. Was sagt Serbien zur Kritik?

Das offizielle Serbien lässt sich nicht vernehmen. Regierungsnahe Kreise weisen aber den Vorwurf entschieden zurück, Belgrad mache mit Moskau gemeinsame Sache. Tatsächlich nicht neu ist zum Beispiel die Visumsfreiheit Serbiens mit Tunesien. Das ehemalige Jugoslawien hat mit Tunis schon 1965 ein entsprechendes Abkommen unterzeichnet. Jenes mit Indien datiert aus dem Jahr 2007. In gewissen Branchen, vorab im Bau, der Landwirtschaft und beim Kurierdienst, herrscht Fachkräftemangel. Klar ist aber auch: Serbien ist abhängig von russischem Gas und hat die EU-Sanktionen gegen den Kreml nicht übernommen. In der UNO hingegen hat Belgrad Putins Angriff gegen die Ukraine verurteilt und deren Recht auf territoriale Integrität betont. Überhaupt, sagen mit dem Thema vertraute Quellen, sei die EU die wichtigste Handelspartnerin Serbiens, zudem strebe das Land den EU-Beitritt an. Man könne es sich gar nicht leisten, diesen Prozess durch Spielchen bei der illegalen Migration zu gefährden. Man verweist sodann auf Statistiken. So habe Serbien etwa im Jahr 2020 28'000 illegale Grenzübertritte vereitelt.