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G20: Der Grisengipfel auf Bali

Unpassender könnte die Kulisse für dieses G20-Gipfeltreffen kaum sein. Ein ziemlich protzig anmutendes 5-Sterne-Luxushotel mit 60 Meter langem Aussenpool, der sich von Palmen gesäumt bis an einen weissen Traumstrand mit türkisfarbenem Wasser erstreckt. Mit dem Zustand der Welt da draussen, mit dem sich die mächtigsten Staats- Regierungschefs in den nächsten Tagen auf der indonesischen Ferieninsel Bali befassen werden, hat diese abgeschottete Urlaubsidylle nun wirklich rein gar nichts zu tun.
Bild: Keystone/dpa/Christoph Soeder

Russland führt seit fast neun Monaten Krieg gegen die Ukraine. China droht Taiwan mit einer Invasion. Energieknappheit und Inflation erschüttern die Weltwirtschaft. In Afrika und Asien spitzen sich die Hungerkrisen zu. Selbst die Gefahr eines Atomkriegs ist wieder real. Und die G20, diese zur Bewältigung globaler Krise gegründete Staatengruppe, ist so zerrüttet wie noch nie in den 23 Jahren ihres Bestehens. Beim Gipfel auf Bali wird sich nun zeigen, ob sie überhaupt noch etwas zustande bringen kann.

Einladung der Ukraine als Kompromiss

Der russische Überfall auf die Ukraine hat den Sinn des diesjährigen Gipfels der Staatengruppe insgesamt in Frage gestellt. Die westlichen Mitglieder ächten Russland, seit Präsident Wladimir Putin den Einmarsch in das Nachbarland befohlen hat. Russland hat aber auch Verbündete in der G20 der führenden Wirtschaftsmächte, allen voran China. Aber auch Indien und Südafrika haben den russischen Angriffskrieg in der UN-Generalversammlung nicht verurteilt.

Ein Ausschluss Russlands aus der Gruppe als Strafmassnahme kam also nicht in Frage. Ein Boykott durch die EU- und Nato-Staaten auch nicht. Der Westen will demonstrieren, dass er die verbale Auseinandersetzung mit Russland nicht scheut. Man werde es nicht zulassen, dass Russland die G20 als wichtiges Forum für globale Fragen und Probleme zerstört, lautet die Devise.

Kurzfristige Absage Putins nach Niederlagenserie

Als Kompromiss lud der G20-Vorsitzende, Indonesiens Präsident Joko Widodo, auch die Ukraine als Gastland ein. Präsident Wolodymyr Selenskyj wird per Video zugeschaltet. Ob Putin kommt oder nicht, war vor dem Gipfel über Monate die meistdiskutierte Frage. Der russische Präsident beantwortete sie erst vor wenigen Tagen - und zwar mit Nein. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte, die Entscheidung hänge mit dem "Zeitplan" des Präsidenten zusammen.

Fest steht, dass der Zeitpunkt für ein Aufeinandertreffen Putins mit seinen westlichen Gegnern äusserst ungünstig für ihn gewesen wäre. Nach militärischen Niederlagen in der Ukraine und der Rückeroberung der südukrainischen Stadt Cherson wollte sich Putin auf Bali wahrscheinlich keine Blösse geben. Der 70-Jährige hätte dort nichts gewinnen können – und schickt deshalb Aussenminister Sergej Lawrow. Der hatte schon im Juli für einen Eklat gesorgt, indem er ein G20-Aussenministertreffen vorzeitig verlassen hatte.

Gipfel der beiden mächtigsten Männer der Welt

Aber auch ohne Putin wird es spannend auf Bali. Die ersten Staats- und Regierungschefs treffen am Montag ein, darunter Kanzler Olaf Scholz. Das wohl wichtigste Ereignis findet statt, bevor der Gipfel beginnt: Am Montag trifft US-Präsident Joe Biden erstmals seit seinem Amtsantritt den chinesischen Staatschef Xi Jinping. "Wir müssen nur herausfinden, wo die roten Linien sind", sagte Biden am Sonntag in Phnom Penh. "Ich kenne ihn gut. Er kennt mich", sagte Biden offenbar mit Blick auf seine früheren Treffen mit Xi Jinping.

"Die USA sind bereit für einen harten Wettbewerb mit China, aber suchen keinen Konflikt", sei die Botschaft des Präsidenten, sagte sein Sicherheitsberater Jake Sullivan auf dem Flug nach Bali. Es gehe darum, mit diesem Wettstreit "verantwortlich" umzugehen, damit dieser nicht in Konfrontation umkippe. Auch gebe es Bereiche, wo beide zusammenarbeiten könnten.

Doch das Verhältnis ist so schlecht wie nie. China gibt Putin Rückendeckung im Ukraine-Krieg. Der Handelskrieg und Sanktionen belasten den Wirtschaftsaustausch. Die Spannungen um das demokratische Taiwan und die Territorialansprüche Chinas im Südchinesischen Meer haben sich verschärft. China wirft den USA vor, seinen Aufstieg in der Welt eindämmen zu wollen. Die USA wiederum sehen China zunehmend als wirtschaftlichen Rivalen und Bedrohung.

Wenig Optimismus vor Biden-Xi-Treffen

Wegen der grossen Meinungsunterschiede sind die Erwartungen an das Treffen auch sehr gedämpft. "Ich glaube nicht, dass sich die beiden zusammensetzen werden, um alle Differenzen oder Probleme zu lösen", verlautete aus dem Weissen Haus. In Peking wird es ähnlich gesehen: "Es gibt keinen Grund zu glauben, dass dieses Treffen anders als die vielen Gespräche vorher verläuft und anhaltende und bedeutende Erleichterung erzeugen wird", sagte der renommierte Professor Shi Yinhong von Pekings Volksuniversität (Renmin Daxue).

Wahlen in USA stärken Biden den Rücken

Biden reist gestärkt nach Bali. Bei den US-Zwischenwahlen war ein Debakel für seine Demokraten und eine Erfolgswelle der Republikaner vorhergesagt worden. Beides ist ausgeblieben. Die Demokraten haben viel besser abgeschnitten als erwartet. Das gibt Biden Rückenwind. Er wird von Verbündeten immer wieder nach der Verlässlichkeit der USA als Partner gefragt. "Sie sind sehr besorgt darüber, ob wir immer noch die offene Demokratie sind, die wir immer waren, und ob wir Regeln haben und die Institutionen wichtig sind", sagte Biden.

Wird Trump einen Schatten auf G20-Gipfel werfen?

Immer schwingt die Frage mit, ob der unberechenbare Ex-Präsident Donald Trump wieder ins Weisse Haus einziehen könnte. Der 76-Jährige könnte vorhaben, Biden beim G20-Gipfel die Show zu stehlen. Für Dienstag hat er eine "sehr grosse Mitteilung" angekündigt. Er könnte eine erneute Kandidatur für die Präsidentenwahlen 2024 ankündigen.

Da seine Republikaner bei der Wahl aber so schlecht abgeschnitten haben und von Trump unterstützte Kandidaten durchgefallen sind, ist der Ex-Präsident geschwächt. Indem die Demokraten überraschend den Senat halten konnten, haben sich die Umstände verändert, so dass Trump an Rückhalt in seiner Partei verlieren könnte. Das wiederum stärkt Bidens Führungsrolle auf der internationalen Bühne.

Wahrscheinlich kein Familienfoto zum Auftakt

Wenn am Dienstag der Gipfel startet, wird es wahrscheinlich nicht einmal das traditionelle Familienfoto geben. Eine funktionierende Weltfamilie gibt es nicht mehr. Daher wäre es folgerichtig, auch das Foto wegzulassen. Aber was ist an Ergebnissen möglich?

Seit Wochen verhandeln die Unterhändler, die sogenannten Sherpas, intensiv über ein Abschlussdokument mit allen zentralen Themen vom Ukraine-Krieg über den Klimaschutz bis zur wirtschaftlichen Krise. Der deutsche Staatssekretär Jörg Kukies machte sich wegen der zahlreichen offenen Fragen bereits Mittwoch auf den Weg nach Bali. Die Verhandlungen werden bis zum letzten Gipfeltag dauern.

Suche nach dem kleinsten Nenner: Absage an Atomschlag?

Dass es überhaupt eine gemeinsame Erklärung der 19 Staats- und Regierungschefs sowie der EU gibt, ist fraglich. Wahrscheinlicher ist eine Zusammenfassung der Diskussion durch die Präsidentschaft - ein ungewöhnlicher Vorgang in der Geschichte der G20-Treffen auf Ebene der Staats- und Regierungschefs seit 2008. Selbst dann würden voneinander abweichende Meinungen deutlich gemacht.

So könnte zum Beispiel festgehalten werden, dass zahlreiche G20-Mitglieder Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine als illegal ansehen und ihn verurteilen. Dann würde die Sichtweise Russland vermerkt. Eine Erklärung ohne Zustimmung Russlands zu veröffentlichen, wäre aus westlicher Sicht auch eine Alternative, dabei spielen aber vermutlich Staaten wie China nicht mit.

Es geht also um die Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner, der am Ende sehr klein ausfallen könnte. Kanzler Scholz und seine Leute hoffen, dass zumindest eine Absage an den Einsatz von Atomwaffen herauskommen könnte. Scholz hatte darauf bereits bei seiner China-Reise hingearbeitet und Xi Jinping ein solches Bekenntnis abgerungen. In einem Entwurf für die Abschlusserklärung sei ein Punkt zur Nichtnutzung von Kernwaffen enthalten, heisst es aus der EU. In Brüssel hofft man, dass er es auch in die Endfassung schafft. (sda/dpa)