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EU - Sozialversicherungen

EU-Plan für Grenzgänger birgt Zündstoff

Es könnte teuer werden - möglicherweise dereinst auch für die Schweiz: Die EU-Sozialminister wollen voraussichtlich am Donnerstag eine Grundsatzeinigung über die neue Regeln zur Koordinierung der Sozialversicherungssysteme erzielen. Dahinter verbirgt sich Zündstoff.
Geht es nach dem Willen Brüssels, sollen Grenzgänger neu bei Arbeitslosigkeit von jenem Land Arbeitslosenunterstützung erhalten, in dem sie zuletzt gearbeitet haben. Dies könnte auch für die Schweiz mit ihren 300'000 Grenzgängern teuer werden. (Symbolbild)
Bild: Keystone/KEYSTONE/TI-PRESS/FRANCESCA AGOSTA

Ohne die EU-Vorschriften zur Koordinierung der Sozialsysteme wäre die Personenfreizügigkeit kaum machbar. "Diese Vorschriften garantieren, dass niemand, der in einen anderen Mitgliedstaat zieht, seinen Sozialschutz verliert", schreibt die EU-Kommission im Internet.

Aus diesem Grund hat auch die Schweiz die zurzeit geltenden EU-Vorschriften freiwillig übernommen. Man halte sich "vollumfänglich an die EU-Koordinationsregeln", heisst es seitens des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco).

Ende 2016 schlug die EU-Kommission vor, diese Vorschriften zu modernisieren. Die Neuerungen seien "Ausdruck des politischen Engagements der derzeitigen Kommission für eine faire Arbeitskräftemobilität", schrieb die Behörde.

Neues Grenzgänger-Regime

Konkret hat Brüssel unter anderem einen Systemwechsel für arbeitslose Grenzgänger vorgeschlagen, was bei einigen EU-Staaten zu roten Köpfen geführt hat.

Aktuell müssen Grenzgänger ihre Ansprüche für Arbeitslosenentschädigung in ihrem Wohnsitzstaat geltend machen. Auch in der Schweiz wird das so gehandhabt. Da jedoch Grenzgänger in der Schweiz Arbeitslosenversicherung einzahlen, gibt es - werden sie arbeitslos - eine auf maximal fünf Monate beschränkte Ausgleichszahlung an ihren Wohnsitzstaat.

Geht es nach dem Willen Brüssels, sollen Grenzgänger neu bei Arbeitslosigkeit von jenem Land Arbeitslosenunterstützung erhalten, in dem sie zuletzt gearbeitet haben.

Der Vorschlag hatte vor allem bei den osteuropäischen Staaten und Frankreich grossen Anklang gefunden. Gemäss EU-Diplomaten konnten sie sogar eine Fristverkürzung durchsetzen, wie lange ein Grenzgänger im EU-Ausland gearbeitet haben muss, um dort Arbeitslosengeld zu erhalten. Während die EU-Kommission 12 Monate vorgeschlagen hatte, ist aktuell nur noch von drei Monaten die Rede.

Wäre teuer für die Schweiz

Einige EU-Staaten wehren sich jedoch gegen den Systemwechsel - vor allem Staaten wie Luxemburg mit vielen Grenzgängern. Denn dies kann teuer werden, was auch bei der Schweiz mit ihren über 300'000 Grenzgängern der Fall wäre.

Wie viel es die Schweiz kosten würde, kann das Seco zwar nicht sagen, da die Neuregelung noch nicht in ihrer definitiven Form vorliegt. "Wir rechnen jedoch mit einem Anstieg der Kosten bei einem Paradigmenwechsel von mehreren hundert Millionen Schweizer Franken", schreibt das Seco auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Die Schweiz ist gemäss Seco jedoch nicht verpflichtet, diese neue Regelung zu übernehmen. "Solche Änderungen des EU-Rechts werden nicht automatisch übernommen."

Bekannt ist aber, dass die Koordinierung der Sozialversicherungssysteme auch schon Thema im Rahmen der Verhandlungen über ein institutionellen Rahmenabkommens war, wie in Brüssel bestätigt wurde. Was genau besprochen wurde, ist nicht bekannt.

Französische Grenzgänger dagegen

Neben dem finanziellen Aspekt bringt der Regime-Wechsel aber auch andere Probleme mit sich. Mehrere französische Grenzgänger-Vereinigungen hatten sich mit grossen Bedenken deswegen an die EU-Kommission gewandt. Sie machen darauf aufmerksam, dass viele französische Grenzgänger die deutsche Sprache nur rudimentär beherrschten und "schon gar nicht schreiben" könnten.

Entsprechend könnten sie von den deutschen Agenturen für Arbeit nicht so gut betreut werden wie von den französischen Arbeits-Agenturen, schreiben die Organisationen weiter. Die Sprachbarriere sei zudem ein Problem bei der Weiterbildung. Ausserdem machen sie darauf aufmerksam, dass die französische Arbeitslosenunterstützung "viel vorteilhafter ist" als die deutsche.

Die Grenzgänger-Organisationen kommen zum Schluss: "Diese von der EU-Kommission vorgesehenen Massnahmen würden die Freizügigkeit in der EU bremsen." Zudem befürchten sie eine Diskriminierung gegenüber Nicht-Grenzgänger-Franzosen. Jene Arbeitnehmenden, die von der Freizügigkeit Gebrauch machten, "dürfen nicht bestraft werden", fordern sie.

Trotz Widerstand dürfte die Vorlage am Donnerstag durch gehen. Denn jene EU-Staaten, die aus unterschiedlichsten Gründen dagegen sind, wie Deutschland, Luxemburg, Dänemark, Österreich, Niederlande, Belgien, Zypern und Malta, verfügen nicht über eine Sperrminorität. Heftige Diskussionen aber werden erwartet. (sda)