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Deutschland

EU-Parlament: Vizepräsidentin im Gefängnis

Durch einen der grössten Korruptionsskandale in seiner Geschichte droht das Europaparlament schwer in Misskredit zu geraten. Vizepräsidentin Eva Kaili soll Geld aus dem Golfstaat Katar kassiert haben, damit sie für das WM-Gastgeberland Einfluss auf politische Entscheidungen nimmt. Die Sozialdemokratin aus Griechenland wurde zusammen mit fünf anderen Verdächtigen festgenommen. Vier davon kamen am Sonntag per Haftbefehl in Untersuchungshaft - darunter nach Medienberichten auch die 44-jährige Parlamentsvize. Viele andere Europa-Abgeordnete, auch aus Deutschland, sorgen sich nun um den Ruf.
Bild: Keystone/European Parliament/Eric Vidal

Im Raum steht neben Vorwürfen der Bestechung und Bestechlichkeit auch der Verdacht der Geldwäsche. Kaili wurde von Parlamentspräsidentin Roberta Metsola am Wochenende von all ihren Aufgaben entbunden. Bislang war sie eine von insgesamt 14 Stellvertretern. Formell muss die Entscheidung vom Parlament noch bestätigt werden. Die sozialdemokratische Fraktion - zu der auch die SPD-Abgeordneten gehören - suspendierte bereits ihre Mitgliedschaft. Ihre Partei schloss sie aus.

Festgenommen wurden auch ein ehemaliger sozialdemokratischer Europa-Abgeordneter aus Italien, Antonio Panzeri, sowie Kailis italienischer Lebensgefährte. Wie die Zeitung "Le Soir" und das Magazin "Knack" am Sonntag berichteten, kamen beide ebenfalls in U-Haft ins Gefängnis. "Sie werden der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, der Geldwäsche und der Korruption beschuldigt", teilte die Staatsanwaltschaft mit. Zwei weitere Festgenommene liess der Untersuchungsrichter frei. Am Samstagabend wurde das Haus eines weiteren Europa-Abgeordneten durchsucht.

Die Vorwürfe setzten den politischen Betrieb in Brüssel unter Schock. In der EU-Hauptstadt, wo Gesetze für rund 450 Millionen Europäer gemacht werden, gehört Lobby-Arbeit selbstverständlich dazu. Nach Angaben des Vereins Lobbycontrol tummeln sich dort etwa 25 000 Lobbyisten in der Stadt. Sie alle versuchen, Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. Doch dieser Fall ist anders, brisanter - und lässt hohe kriminelle Energie vermuten.

Seit mehreren Monaten verdächtigen belgische Ermittler nach Angaben der Staatsanwaltschaft einen Golfstaat, "die wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen des Europäischen Parlaments zu beeinflussen". Dazu sollen hohe Geldsummen gezahlt oder teure Geschenke an Entscheidungsträger im Parlament gemacht worden sein. Aus Ermittlerkreisen wurde der Deutschen-Presse-Agentur bestätigt, dass es sich bei dem Golfstaat um Katar handelt.

Kaili sitzt seit 2014 im Europaparlament, wo sie inzwischen fast bis an die Spitze Karriere gemacht hat. Der Sozialdemokrat Panzeri hatte nach seinem Abschied aus dem Parlament in Brüssel die Nichtregierungsorganisation Fight Impunity gegründet, die eigenen Angaben zufolge weltweit für Menschenrechte kämpft. Die Organisation schreibt sich auch den Kampf gegen Korruption auf die Fahnen. In Italien kamen Panzeris Ehefrau und dessen Tochter in Hausarrest.

Bei den Durchsuchungen in Brüssel wurden am Freitag insgesamt 600 000 Euro Bargeld und Handys beschlagnahmt. Später fanden Ermittler in Kailis Wohnung Medienberichten zufolge Taschen voller Bargeld. Die Zeitung "Le Soir" schrieb, die 44-Jährige sei auf frischer Tat - "in flagranti" - erwischt worden. Die Griechin sass bislang für die Pasok-Partei im Parlament, die zusammen mit der SPD zur sozialdemokratischen Fraktion gehört.

Nachdem sie von ihren Aufgaben entbunden wurde, kann nur das Parlament selbst ihre förmliche Absetzung beschliessen. Das könnte bereits während der an diesem Montag beginnenden Plenarwoche in Strassburg erfolgen. Aus ihrer Partei wurde die ehemalige Fernseh-Moderatorin schon ausgeschlossen.

Die Enthüllungen bedeuten für das Parlament einen grossen Imageschaden. Es sei offensichtlich, dass Kaili das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler aufs Spiel setze, sagte der Vorsitzende der SPD-Europaabgeordneten, Jens Geier, der dpa. "Das sind schlimme Vorwürfe und die müssen aufgeklärt werden. Anders lässt sich verloren gegangenes Vertrauen nicht zurückgewinnen." Parlamentsvize Nicola Beer (FDP) sagte der dpa: "Es ist völlig klar, dass das insgesamt negative Auswirkungen auf das Parlament hat."

Das Parlament mit mehr als 700 Abgeordneten positioniert sich gern als starke Stimme im Kampf gegen Korruption. So fordern die Abgeordneten wegen weit verbreiteter Korruption in Ungarn regelmässig ein hartes Vorgehen gegen das EU-Land. Die Häme aus Budapest liess nun nicht lange auf sich warten. Aus der Regierung gab es viel Spott.

Aber haben Kaili und die anderen Verdächtigen tatsächlich auf illegale Weise die Interessen Katars vertreten? Kaili zumindest fiel zuletzt mit einer eher ungewöhnlichen Haltung auf. Als das Parlament im November über eine Resolution diskutierte, die die WM in Katar kritisieren sollte, attestierte die Ex-Journalistin dem Land, Vorreiter in Sachen Arbeitsrechten zu sein. Die WM sei Beweis dafür, "dass Sportdiplomatie einen historischen Wandel in einem Land bewirken kann, dessen Reformen die arabische Welt inspiriert haben". Zudem beklagte sie, dass jeder, der mit Katarern spreche, der Korruption verdächtigt werde.

Der WM-Gastgeber steht seit Jahren wegen der Menschenrechtslage und der Bedingungen für ausländische Arbeiter in der Kritik. Zahlreiche Mitglieder des damaligen FIFA-Exekutivkomitees, das 2010 die WM nach Katar vergeben hatte, sind inzwischen der Korruption überführt. Katar selbst hat den Vorwurf der Bestechung jedoch stets bestritten. Der Innenausschuss des Europaparlaments wiederum stimmte Anfang Dezember dafür, die Visa-Regeln für Katar und andere Länder zu erleichtern.

Obwohl Kaili selbst kein Mitglied im Ausschuss ist, stimmte auch sie ab - dies geschah in Einklang mit den Parlamentsregeln. Das letzte Wort bei der Visa-Liberalisierung ist allerdings noch nicht gesprochen. Das Parlament muss darüber noch mit den EU-Staaten verhandeln. Der Grünen-Abgeordnete Erik Marquardt, der für das Thema im Parlament zuständig ist, stellte bereits klar, in der aktuellen Situation könne es keine Visa-Liberalisierung geben. (sda/dpa)