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Deutschland

Energiekrise und ein ratlos wirkender Kanzler: Was die Wahl in Niedersachsen für die SPD bedeutet

Die Landtagswahl in dem norddeutschen Bundesland gilt als Stimmungstest für die Berliner Bundespolitik. Dass die SPD von Kanzler Scholz wohl stärkste Kraft bleiben wird, hat sie vor allem dem Ministerpräsidenten Stephan Weil zu verdanken. 

Zwei Genossen, die sich nicht nahestehen, einander aber auch kaum gefährlich werden dürften: der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (links) und der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz. 
Bild: Filip Singer / EPA

Rekord-Inflation, Energiekrise und eine drohende Rezession: Düsterer waren die Aussichten in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland vielleicht noch nie. In der Hoffnung, das Schlimmste zu verhindern, nimmt die Mitte-Links-Regierung des sozialdemokratischen Kanzlers Olaf Scholz gigantische Summen in die Hand. Was ihr 200-Milliarden-Euro-Paket ausser zusätzlichen Schulden bringen wird, ist freilich ungewiss.

Der Landtagswahl im norddeutschen Bundesland Niedersachsen, die diesen Sonntag stattfindet, müsste die SPD eigentlich bang entgegensehen, zumal derartige Regionalwahlen in Deutschland fast immer als Plebiszit über die Bundespolitik verstanden werden. Paradoxerweise könnte das Ergebnis vom Sonntag auf die Berliner Regierungskoalition aber eher stabilisierend wirken: Das hat viel mit dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Stephan Weil zu tun, einem Mann, der gemessen an der Grösse seines Landes (rund acht Millionen Einwohner) ausserhalb Niedersachsens nur wenig wahrgenommen wird.

Als Konkurrent muss Scholz den Genossen aus Hannover kaum fürchten

Längst haben deutsche Medien dem Juristen den Titel «Landesvater» verliehen. Amtsvorgänger Weils wie sein Parteikollege Gerhard Schröder und der Christdemokrat Christian Wulff übernahmen nach ihrer Zeit als Ministerpräsident in Hannover höchste Ämter des deutschen Staates; ähnliche Ambitionen dürfte Weil, der sein gesamtes politisches Leben in der niedersächsischen Landeshauptstadt verbracht hat, schon aus Altersgründen kaum haben: Mit 63 Jahren nähert er sich dem in Deutschland üblichen Pensionsalter.

Dass Weil bundespolitisch nur selten in Erscheinung tritt, hat für ihn den Vorteil, dass er nur wenig mit der Regierung in Berlin identifiziert wird. Am Dienstag, als die Ministerpräsidenten der deutschen Länder mit Scholz zusammenkamen, um über die Finanzierung des 200-Milliarden-Pakets zu verhandeln, distanzierte sich der Niedersachse gar von seinem Genossen, indem er zusammen mit seinen Kollegen von der CDU darüber klagte, dass sich der Bund beim Wohngeld finanziell zurückhalten will.

In den Umfragen liegt Weils SPD bei um die 30 Prozent. Das ist zwar weniger als bei der letzten Wahl vor fünf Jahren, aber es reicht noch immer für Platz eins vor der CDU, die ebenfalls verlieren dürfte; zudem erreichen die niedersächsischen Sozialdemokraten damit einen Wert, der rund zehn Prozentpunkte über jenem der Bundes-SPD liegt.

Die Grünen könnten ihren Stimmenanteil mehr als verdoppeln. Nachdem Weil in den letzten fünf Jahren zusammen mit der CDU regiert hat, reicht es künftig also womöglich für eine rot-grüne Koalition. Das wäre zumindest für zwei der drei in Berlin regierenden Parteien ein Erfolg; beim dritten Koalitionspartner auf Bundesebene, den Liberalen, könnte allerdings die Nervosität wachsen, sollten sie den Wiedereinzug in den niedersächsischen Landtag verpassen. Bestehende Sorgen, ob sich die bürgerliche FDP in einem Bündnis mit zwei Partnern links der Mitte ausreichend profilieren kann, dürften dann neue Nahrung erhalten.

Ein Land, das dazu einlüde, über Energiepolitik zu debattieren

Weils Regierung hat das Land eher verwaltet als gestaltet. Im Wahlkampf spielten, wie dies bei deutschen Landtagswahlen meist der Fall ist, eher bundespolitische als regionale Themen die Hauptrolle. So wurde zwar über Energiepolitik diskutiert, doch ging es dabei eher um die Bekämpfung von Krisensymptomen als um Grundsätzliches.

Dabei hätte gerade ein niedersächsischer Wahlkampf die Gelegenheit geboten, sich mit einigen Lebenslügen der deutschen Energiepolitik auseinanderzusetzen, die seit dem russischen Überfall auf die Ukraine eigentlich jedem ins Auge springen müssten: So ist der Anteil der Kernkraftgegner im Land des Atommüllzwischenlagers Gorleben besonders gross; nun werden sie womöglich umdenken müssen.

Zudem liegen unter niedersächsischem Boden Erdgasvorkommen, die Deutschland nach Schätzungen von Experten 20 Jahre lang versorgen könnten. Über deren Förderung wird bis jetzt kaum diskutiert, denn Fracking wurde von den Parteien im Wahlkampf wie ein Tabu behandelt. Die Bereitschaft, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, dürfte allenfalls einsetzen, wenn die Wahlschlacht geschlagen ist.