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Erfolgsrezept

Einer wie keiner: Ueli Maurer ist heimlifeiss und ein Meister der Widersprüche

Der widerborstige Bauernsohn mit KV-Lehrabschluss war der Aussenseiter im Bundesrat, und er zelebrierte diese Rolle. Auch die Medien und ich selber habe seine Launen erlebt, zweimal kündigte er an, nie mehr mit mir zu reden - und tat es dann doch wieder. Eine Bilanz.

Streit und Versöhnung: Bundesrat Ueli Maurer mit Kommentator Patrik Müller, hier bei einem Interview zur Coronapolitik im Oktober 2020.
Bild: Severin Bigler

Niemand ist frei von Widersprüchen. Ueli Maurer aber vereinigt so viele Widersprüche in sich, dass man ihn dafür bewundern muss. Seit fast 14 Jahre sitzt er im Bundesrat und ist Teil der «classe politique», die ihm eigentlich zuwider ist. Den besten Kontakt habe er mit den Putzfrauen, nicht mit den Beamten, sagte er gestern, als er seinen Rücktritt ankündigte. Das ist ein bisschen Koketterie, aber durchaus glaubhaft. Maurer versteht sich als einer aus dem Volk. Er zeltet lieber im Wald, als in Fünfsternehotels zu übernachten – und allein einen Cervelat zu bräteln zieht er einem Staatsdinner vor.

Maurer blieb in all den Jahren er selber, liess sich nicht vom System vereinnahmen. Der widerborstige Bauernsohn mit KV-Lehrabschluss war der Aussenseiter im Bundesrat, doch er litt nicht an dieser Rolle, im Gegenteil. Er suchte sie und blühte darin auf. Deutlich wurde das in der Pandemie, als er über die Covid-App spottete («weiss nicht, wie man die installiert») oder die zweite Impfung verweigerte («bin zäh»). Um später wieder linientreu die bundesrätliche Coronapolitik zu unterstützen.

Irgendwann muss Ueli Maurer entdeckt haben, dass er für jene Menschen eine Identifikationsfigur ist, die «denen in Bern oben» misstrauen, die deren Sprache nicht verstehen und die sich vergessen fühlen. Hillary Clinton nannte solche Leute «deplorable», bedauernswert. Auch im Bundeshaus denkt manch einer so, aber niemand ist so dumm, das öffentlich zu sagen. Maurer mag diese einfachen Leute sehr. Insofern wirkt er integrierend: Er gibt als Teil des Establishments den «Vergessenen» eine Stimme. Oder sagt einfach nichts – und zieht sich ein Trychler-Shirt über.

Maurer beherrscht das Spiel zwischen Regierung und Opposition wie kein Zweiter. Nicht nur bei Corona. Immer wieder ritzte oder verletzte er das Kollegialitätsprinzip. So liess er durchblicken, dass er gegen das Co2-Gesetz ist, und in der Europapolitik schoss es ebenfalls quer. Anderen Bundesräten hätte man das nie durchgehen lassen, aber «dä Ueli» durfte das. Vielleicht, weil man ihn nicht immer ernst nahm und weil man nie ganz sicher sein konnte: Meint er das ernst oder macht er nur Sprüche?

Der bauernschlaue Maurer wurde unterschätzt, schon als Parteichef. Der Aufstieg der SVP zu wählerstärksten Partei geschah, als er Präsident war (1996 bis 2008). Maurer krampfte Tag und Nacht, seine Familie litt darunter – aber im Scheinwerferlicht stand stets Christoph Blocher. Das Verhältnis der beiden Zürcher ist ebenfalls voller Widersprüche. Inhaltlich liegen Maurer und Blocher auf einer Linie, aber eine menschliche Nähe bestand nie. Anfänglich wurde Maurer von der Blocher-nahen «Weltwoche» als Leichtgewicht belächelt, was ihn traf. Nicht nur von Bern, auch von Herrliberg liess sich Maurer nie vereinnahmen.

Im Bundesrat hatte er vor allem als Finanzminister (seit 2016) Erfolg. Er kämpfte für einen gesunden Haushalt, mit den Covid-Krediten für KMU und auch für den Finanzplatz Schweiz. Dafür liebten die Kapitalisten der Grossbanken den Bauernbuben Maurer. Weniger glücklich agierte er als Verteidigungsminister, sein wichtigstes Projekt, der Kauf des Kampfjets Gripen, wurde vom Volk versenkt.

Viel ist geschrieben worden über Maurer und die Medien. Dazu nur eine persönliche Reminiszenz: Ich habe in all den Jahren rund 20 Interviews oder Podien mit Ueli Maurer durchgeführt. Fast jedesmal gab es einen Moment, wo er «hässig» wurde, zweimal kündigte er an, nie mehr mit mir zu reden. Trotzdem tat er’s wieder.

Der Meister der Widersprüche ist auch ein Meister der Versöhnung. Nicht auszuschliessen, dass ihn sogar die Medien vermissen werden.