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Simon Stocker

Der Abzockerschreck-Schreck: Wie einem Linken im konservativen Schaffhausen die Sensation gegen Thomas Minder gelang – und was Sitzbänke damit zu tun haben

Es ist die wohl grösste Überraschung bei den Ständeratswahlen: Im Kanton Schaffhausen verliert Thomas Minder, der Vater der Abzocker-Initiative, nach 12 Jahren sein Amt. Wer ist der Mann, der Minder geschlagen hat?
Überraschungssieger: Simon Stocker (SP) nach seinem Wahlsieg über den Bisherigen Thomas Minder (19. November)
Bild: Bild: Walter Bieri/K

«Ich würde nie für ein Amt antreten, wenn ich absolut keine Chance hätte», das sagte Simon Stocker im September vor den eidgenössischen Wahlen. Er rührte für den Wahlkampf mit der grossen Kelle an: Mit 120’000 Franken Budget – mehrheitlich Spenden – fuhr er den Angriff auf die beiden bisherigen Schaffhauser Ständeräte Thomas Minder (parteilos, seit 2011) und Hannes Germann (SVP, seit 2002). «Um eine Chance gegen zwei bisherige Ständeräte zu haben, bin ich auf eine grosse und sichtbare Kampagne angewiesen», sagte Stocker.

Jetzt hat der SP-Politiker Recht behalten: Simon Stocker holte am Wochenende 2200 Stimmen mehr als Thomas Minder und konnte damit den Vorsprung im Vergleich zum ersten Wahlgang nochmals deutlich ausbauen. Wer ist der Mann?

Differenzen zur SP

Ursprünglich Gründer und Mitglied der Alternativen Liste (AL) Schaffhausen, die sich 2022 auflöste und in der SP aufging, präsentiert sich Stocker heute stets als gemässigter Linker. Er beteuert, nicht dem prototypischen SP-Politiker zu entsprechen. Im Rahmen seiner Tätigkeit als Leiter der Fachstelle Alterspolitik bei Gerontologie Schweiz müsse er Aufträge selbst generieren, sich in seinem Marktumfeld behaupten.

Er spricht offen über seine Differenzen zur SP. Einen EU-Beitritt wolle er nicht anstreben, «nicht einmal in ferner Zukunft», sagte er im Vorfeld der Wahlen. Die EU habe sich, nicht zuletzt in der Flüchtlingskrise, als wenig krisenfest und solidarisch erwiesen. Dazu kämen die hohe Mehrwertsteuer und die begrenzte demokratische Mitwirkungsmöglichkeit in der Union: «Ein Beitritt ist einfach nicht nötig. » Wenig hält er zudem von vorauseilendem Gehorsam, der gelegentlich in der SP praktiziert werde. «Ich möchte mir lieber eine eigenständige Meinung bilden.»

Dass Stocker sich nicht als radikaler Linker positionierte, half ihm nun im Rennen gegen den einstigen Volkshelden und Vater der Abzocker-Initiative Thomas Minder. Ebenso, dass Stocker in der Stadt Schaffhausen durch seine frühere politische Karriere sehr bekannt ist.

Bereits mit 26 Jahren sass Stocker im Stadtparlament, damals noch für die AL. Mit 32 wurde er zum Stadtrat gewählt und übernahm 2013 das Sozial- und Sicherheitsreferat. Dort machte er sich unter anderem einen Namen als «Bänkli-Referent», da er auf Anregung von Quartierbewohnern Sitzbänke installieren liess. Das zeigt: Stocker blieb stets nahe bei den normalen Leuten. 2020 trat er nicht mehr zur Wahl an. Stattdessen begann er, sich für Anliegen älterer Menschen einzusetzen. Heute ist er ein Fachmann für Alterspolitik.

Der Schaffhauser präsentierte sich im Wahlkampf als Stimme der Erneuerung. «Thomas Minder und Hannes Germann hatten ihre Zeit; ich verstehe nicht, warum man jungen Leuten derart vor der Sonne steht», sagte er. Nun wird Stocker mit Germann im Stöckli den Kanton Schaffhausen vertreten.

Freisinnige Kandidatin scheiterte

Stocker profitierte allerdings auch davon, dass Minders Rückhalt vor allem in der städtischen Bevölkerung mittlerweile verschwunden ist. Lange lebte er von dem Glanz seiner Initiative, doch sein Leistungsausweis in den vergangenen zwölf Jahren blieb bescheiden. Im Wahlkampf war Minder medial wenig präsent und verteilte stattdessen Bratwürste in der Stadt.

Ausser mit Bratwürsten im Wahlkampf wenig präsent: Thomas Minder, abgewählter Schaffhauser Ständerat (Archivbild 2019).
Bild: Peter Klaunzer / KEYSTONE

Neben einem geschwächten Gegner profitierte Simon Stocker auch davon, dass die Schaffhauser FDP die Kandidatin Nina Schärrer aus dem Rennen drängte und stattdessen auf Minder setzte, der in der SVP-Fraktion politisiert. Dieser Entscheid sorgte auch bei Freisinnigen für Unverständnis.

Im Ständerat könne man nicht stur und puristisch sein, sagte Stocker, der trotz betont liberal-bürgerlichem Auftreten im Wahlkampf ein Linker bleibt, nach seinem Wahlsieg: «Ich will Allianzen bilden und Kompromisse schmieden, das wird meine Aufgabe sein als Ständerat». Nun muss sich weisen, wie gross seine Kompromissfähigkeit tatsächlich ist.