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KOMMENTAR

Darum bewegt sich fast nichts bei der Wählerstärke der Schweizer Parteien 

Die eine Partei gewinnt ein halbes Prozent hinzu, die andere büsst ein halbes Prozent ein. Die Stabilität im neuen SRG-Wahlbarometer mutet unglaublich an verglichen mit dem Ausland. Warum ist das so? 

Die Zusammensetzung des Nationalrats könnte fast unverändert bleiben nach den Wahlen von 2023. 
Bild: Anthony Anex / Keystone

Die Grünliberalen und die FDP sind auf dem Vormarsch, während die Grünen zurückfallen. So schrieben die Schweizer Medien diese Woche über die Ergebnisse des neuen SRG-Wahlbarometers. Einen Befund liessen sie ausser Acht.

Die Gewinne und Verluste der Parteien sind sehr klein. Der grösste Bewegung beträgt 1,5 Wählerprozente. Wenn man bedenkt, dass die Fehlermarge der Umfrage bei 1,3 Prozent liegt, ist der Schluss zulässig: Es könnte sich in den Wahlen 2023 auch gar nichts ändern.

Die Stabilität mutet unglaublich an, wenn man die Ergebnisse der Parlamentswahlen im umliegenden Ausland heranzieht: Giorgia Melonis Fratelli d’Italia springen von 4 auf 26 Wählerprozente. Die CDU in Deutschland verlor vor einem Jahr 9 Wählerprozente.

Kein Thema mobilisiert politisch Interessierte stark

Warum liegen die Änderungen in der Schweizer Parteienlandschaft im Mikrobereich – und das in Zeiten, in denen eine Krise auf die andere folgt?

Erstens ist die Ansicht verbreitet: Bis jetzt sind wir weniger schlecht weggekommen als andere. Untersuchungen zeigen, dass die Schweiz die Coronakrise mit vergleichsweise geringen Einschränkungen bewältigt hat. Auf den wirtschaftlichen Einbruch 2020 folgte ein Aufschwung, der so kräftig war, dass Fachkräfte fehlen. Die Inflation ist gestiegen, erreicht aber nicht annähernd Höhen wie im Ausland.

Der zweite Grund hat mit dem politischen System zu tun: Im Land der immerwährenden Regierungskoalition, in die alle grossen Parteien eingebunden sind, muss sich die Kollegialbehörde gerade in Kriegszeiten zusammenraufen. Enttäuschte Wähler können nicht auf die Regierung zeigen und dann der Opposition den Vorzug geben.

2019 war eine Ausnahme: Nach dem Dürresommer 2018 wollten viele Schweizerinnen und Schweizer, dass die Politik mehr unternimmt gegen den Klimawandel. Die Grünen gewannen 6 Wählerprozente hinzu. Nun fehlt aber ein Thema, das die Menschen mobilisiert. Die SP hofft, dass bald der Sozialpolitik mehr Beachtung geschenkt wird, die SVP will die hohe Zuwanderung in den Fokus rücken. Bis jetzt beschäftigt das aber nicht besonders viele Leute. Darum gewinnt die eine Partei laut der Wahlumfrage ein halbes Prozentchen hinzu, während die andere ebenso viel verliert.