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Cassis am Riesen-Gipfel mit Europas Regierungschefs: «Es gibt das Gefühl, zu einer Schicksalsgemeinschaft zu gehören»

43 Staats- und Regierungschefs aus ganz Europa setzen in Zeiten des Kriegs ein Zeichen zur gemeinsamen Zusammenarbeit. Mittendrin: Bundespräsident Ignazio Cassis. 

Bundespräsident Cassis beim Emfpang durch den tschechischen Premier Petr Fiala.
Bild: Keystone

Beinahe hätte Ignazio Cassis seinen Einsatz verpasst: Wegen technischer Probleme am Bundesratsjet kam der Schweizer Bundespräsident am Donnerstag etwas verspätet zum ersten Treffen der «Europäischen Gemeinschaft» in der tschechischen Hauptstadt. PR-mässig sollte sich das Malheur aber lohnen: Just nach dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und kurz vor dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz schritt Cassis über den roten Teppich in die prächtige Prager Burg. Ein grosser Auftritt vor versammelter Weltpresse, der daran erinnert: Die wichtigsten Leute kommen meist etwas spät.

Nicht weniger als 43 Staats- und Regierungschefs aus ganz Europa nahmen an dem vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron initiierten Mega-Gipfel teil. Die 27 EU-Staaten, die Ukraine, die EU-Beitrittskandidaten vom Balkan, aber auch nicht EU-Länder wie Grossbritannien, die Türkei und Aserbaidschan. Und eben: Die Schweiz. «Es geht darum, in einem wichtigen Moment ein Zeichen der Einheit auszusenden», sagte Macron. Ignazio Cassis formulierte es so: «Gärtlidenken führt nicht zu Lösungen, das kennen wir aus der Schweiz». Die Herausforderungen, vor die sich Europa gestellt sehe, erforderten neue Ansätze. Dieser Gipfel sei ein solcher. Es herrsche das Gefühl, dass man «zu einer Schicksalsgemeinschaft gehört», so Cassis.

Klar: Der Hintergrund des Treffens ist düster. In der Ukraine wütet der vom russischen Präsidenten vom Zaun gebrochene Krieg. Die Bürgerinnen und Bürger sehen sich von der Energiearmut bedroht. Der Kontinent steht vor einer Rezession.

Aber es ist genau auch wegen dieser Extrem- Situation, dass sich die Regierungschefs zusammenraufen konnten.

Erstmals seit dem Brexit wieder mit dabei: Grossbritannien mit Premierministerin Liz Truss.
Bild: Keystone

Erkenntnis gereift, Europa ist mehr als «nur »die Europäisch Union

Exemplarisch dafür steht das vor sechs Jahren aus der EU ausgetretene Grossbritannien. Premierministerin Liz Truss liess bis vor Kurzem noch offen, ob sie an dem Treffen überhaupt teilnehmen würde. Sie befürchtete eine von der EU dominierte Veranstaltung, die sie erneut in den Orbit Brüssels hineinziehen würde. Am Schluss liess sie ihre Bedenken fallen. Aber auch die EU-Beitrittskandidaten, welche Anfangs fürchteten, das neue Projekt würde sie auf ihrem Weg in die EU auf das Abstellgleis führen, haben sich überzeugen lassen.

Dabei muss klar sein, was die Europäische Gemeinschaft sein kann, und was nicht. «Es ist klar verabredet: Es geht nicht darum, eine neue Institution zu schaffen», sagt Bundeskanzler Olaf Scholz. Vielmehr sei der Plan, dass sich die europäischen Staats- und Regierungschefs halbjährlich zusammenfinden, um «frei von einer Tagesordnung und Beschlussfassung über gemeinsame Anliegen zu sprechen», so Scholz. Ein Angebot, nicht mehr. Nicht Integration ist das Ziel, sondern Zusammenarbeit. Ganz wichtig dabei: Die Augenhöhe. «Ich begrüsse es sehr, dass Kooperation in Europa neu betrachtet und breiter gedacht wird», sagt Cassis. Auch als EU-Nichtmitglied sei einem klar auf Augenhöhe begegnet worden.

Für die Schweiz fehlte es bislang aber auch an solchen «Begegnungszonen» auf der höchsten politischen Ebene. Cassis hat die Gelegenheit rege genutzt: Zusammen mit dem griechischen Premierminister Kyriakos Mitsotakis leitete eine Gesprächsrunde zum Thema Energie, Klima und Wirtschaft, an der nicht nur Scholz, sondern auch der italienische (noch)Premier Mario Draghi, der ukrainische Premier Denis Schmyhal sowie weitere Regierungschefs teilnahmen. Bilaterale Treffen hatte Cassis ausserdem mit Emmanuel Macron, dem belgischen Premier Alexander De Croo, dem Portugiesen Antonio Costa und dem spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sanchez.

Auch umstrittene Figuren wurden eingeladen: Der türkische Präsident Erdogan (rechts) und der aserbaidschanische Autokrat Ilham Aliyev.
Bild: Keystone

Gleichwohl wäre es zu viel gewesen, konkrete Resultate vom Riesengipfel zu erwarten. Dafür ist das Teilnehmerfeld schlicht zu breit. Mit Aserbaidschan und Armenien gibt es sogar zwei Länder, die in einem offenen kriegerischen Konflikt stehen. Unter diesen Umständen war es schon eine Herausforderung, ohne Streit die Sitzordnung für das gemeinsame Abendessen festzulegen.

Starke Botschaft an Putin: Das 'Familien-Foto'. (Ignazio Cassis vorne, dritter von links)
Bild: Keystone

Viel wichtiger als irgendwelche formelle Abschlusserklärungen war aber ohnehin das sogenannte «Familien-Foto», ganz nach dem Motto: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. 43 europäische Regierungschefs, trotz aller Widersprüche vereint in ihrer Ablehnung des Krieges. Dies war die Hauptbotschaft Botschaft, welche von Prag nach Moskau in den Kreml geschickt wurde. Dazu Ignazio Cassis: «Es gab ein gemeinsames Verständnis, dass Russland den europäischen Kontinent destabilisiert». Dabei würde Moskau die beiden Waffen Energie und Migration einsetzen. Cassis: «Aber dort wo es einen Angriff gibt, komme es auch zur Schliessung der Reihen».