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Sozialpartnerschaft

Bund soll Lohnhoheit behalten – trotz kantonaler Mindestlöhne

Nach dem Ständerat unterstützt nun auch die vorberatende Kommission des Nationalrats das Anliegen, nationale Gesamtarbeitsverträge über kantonale Mindestlöhne zu stellen.

In mehreren Kantonen wurde bereits ein Mindestlohn eingeführt. Damit werden nationale Gesamtarbeitsverträge teils ausgehebelt. (Archivbild)
Bild: Keystone

Was ist höher zu gewichten: landesweite Gesamtarbeitsverträge oder kantonale Mindestlöhne? Mit dieser heiklen Frage hat sich die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats befasst. In einer Motion fordert Ständerat Erich Ettlin (Mitte/OW), allgemeinverbindlich erklärte Gesamtarbeitsverträge sollen Vorrang haben vor kantonalen Mindestlöhnen, wie sie bislang die Kantone Neuenburg, Jura, Genf, Tessin und Basel-Stadt kennen.

Ständerat Erich Ettlin (Mitte/OW).
Bild: Keystone

Es sei ein «Missstand, dass der Bundesrat zwar Verträge für die ganze Schweiz als verbindlich erklären, aber die gesamtschweizerische Lösung durch kantonale Bestimmungen ausgehebelt werden» könne. Das sei eine «schwere Belastungsprobe» für die Schweizer Sozialpartnerschaft, heisst es im Motionstext.

Kommission sieht «Unsicherheiten» wegen der kantonalen Mindestlöhne

Dies sieht die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats offenbar ähnlich. Sie unterstützt die ständerätliche Motion – wenn auch denkbar knapp mit 11 zu 10 Stimmen, wie die Parlamentsdienste am Mittwoch mitteilen.

Die Kommissionsmehrheit argumentierte, kantonale Mindestlöhne würden zu «Unsicherheiten in den sozialpartnerschaftlichen Verhandlungen» führen. Mit der Motion werde die «Rechtssicherheit für die bewährte Sozialpartnerschaft» wiederhergestellt. Da Gesamtarbeitsverträge vom Bundesrat für allgemeinverbindlich erklärt würden, seien sie im Charakter ähnlich wie Bundesrecht.

Eine Minderheit hielt dem entgegen, bei Gesamtarbeitsverträgen handle es sich um Vereinbarungen zwischen Privaten. Es sei «aus staatspolitischen Gründen» problematisch, diese dem kantonalen Recht und Entscheiden der kantonalen Stimmbevölkerung überzuordnen.

«Verfassungsbruch» und «Sabotage der Sozialpartnerschaft»

Dem Vernehmen nach kam der Widerstand in der Kommission sowohl von rechter als auch linker Seite. Die SVP sieht die Kantonssouveränität und direkte Demokratie in Gefahr. Bei der Kritik von linker Seite steht die Lohnsicherheit im Zentrum.

So schreibt der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB), die Motion wolle «die Kantone daran hindern», gegen zu tiefe Löhne vorzugehen. Es wäre «ebenso gefährlich wie skandalös», wenn Gesamtarbeitsverträge dazu benutzt werden könnten, Löhne nach unten zu drücken. Eine Umsetzung der Motion Ettlin wäre in den Augen des SGB eine «Sabotage der Sozialpartnerschaft», die den Sozialfrieden torpediere, und überdies ein Verfassungsbruch.

Kompetenz der Kantone wird beschnitten

Auch der Bundesrat stellt sich gegen die Motion. Er anerkennt zwar, dass die Einführung kantonaler Mindestlöhne «eine Herausforderung darstellen kann». Das Anliegen der Motion sei aber in mehrerlei Hinsicht problematisch. Die Kompetenz der Kantone, sozialpolitische Mindestlöhne festzulegen, sei in der Verfassung verbürgt. Dies werde mit der Motion «beschnitten», so der Bundesrat.

Ein allgemeinverbindlicher Gesamtarbeitsvertrag stehe auch nicht auf Gesetzesebene, sondern sei am ehesten mit einer Verordnung zu vergleichen, heisst es vom Bundesrat. Es sei problematisch, wenn diese zwingendem kantonalen Recht widersprechen würden.

Die Motion geht nun an den Nationalrat. Der Ständerat hat ihr im Sommer bereits zugestimmt.