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Schweiz

Vier Herren mit Gedächtnisschwund -  jetzt soll ihnen Sekretärin des Bundesanwalts auf die Sprünge helfen

Die Chefsekretärin von Bundesanwalt Michael Lauber soll im Fifa-Prozess aussagen – zu den Geheim-Treffen von Bundesanwalt und Fifa-Boss.
Gedächtnisschwund: Bundesanwalt Michael Lauber, rechts, und sein Pressechef Andre Marty im September 2019 nach Laubers Wiederwahl in Bern. (Peter Schneider / KEYSTONE)
«Faktische Mitherrschaft» bei Strafverfahren der Bundesanwaltschaft: Gianni Infantino.
(Mario Heller / SPO)

Henry Habegger

Henry Habegger

Das in Bellinzona wegen dem Coronavirus sistierte Strafverfahren um ungeklärte Geldflüsse vor der Fussball-WM 2006 in Deutschland könnte an den heimlichen Treffen von Bundesanwalt Michael Lauber mit Fifa-Boss Gianni Infantino scheitern. Das Bundesstrafgericht muss vor dem 27. April entscheiden, dann verjähren die Vorwürfe.

Was war mit dem fünften Mann?

In der Verhandlungspause hagelt es Anträge der Anwälte der vier Beschuldigten. So fordern die Anwälte des Schweizers Urs Linsi, ehemaliger Fifa-Generalsekretär, dass unter anderem die Chefsekretärin von Bundesanwalt Lauber als Zeugin befragt wird. Die Frau könne «mutmasslich» die Frage beantworten, wer der mögliche fünfte Teilnehmer an jenem Geheimtreffen von Lauber und Infantino war, an das sich keiner erinnern will. Nachweislich teilgenommen haben neben den zwei Protagonisten Laubers Pressechef André Marty und Infantinos Jugendkumpel Rinaldo Arnold, Walliser Oberstaatsanwalt.

Laut Laubers Agenda war der damals für das Verfahren zuständige Staatsanwalt Olivier Thormann ebenfalls als Teilnehmer vorgesehen. Dieser sagt aber, er sei in den Ferien gewesen. Nur: Der «Schweizerhof» setzte fünf Snacks auf die Rechnung. Laubers gut informierte Chefsekretärin könne mutmasslich die Identität von Olivier Thormann als fünftem Teilnehmer bestätigen, oder aber Hinweise liefern, wer an seiner Stelle an diesem fragwürdigen Treffen teilgenommen habe, glauben Linsis Anwälte.

Das Strafverfahren um die Fussball-WM wäre offensichtlich ruiniert, falls ein damit befasster Staatsanwalt an dem nicht protokollierten Treffen teilgenommen hätte. Linsis Anwälte beantragen Nichteintreten, Einstellung oder Rückweisung der Anklage.

Neue Erkenntnisse dank Aufsichtsbericht

Neben der Chefsekretärin wollen die Anwälte rund 20 weitere Zeugen und Auskunftspersonen aufbieten. Dies, wie sie schreiben, aufgrund neuer Erkenntnisse, die die Verteidiger aus der Verfügung der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA) gewannen. Die AB-BA hatte diese Verfügung im Anschluss an ihre Disziplinaruntersuchung wegen Laubers Geheimtreffen mit Infantino erlassen und veröffentlicht. Darin erhebt sie schwere Vorwürfe gegen den Bundesanwalt und kürzt ihm den Lohn. Lauber weist alle Vorwürfe scharf zurück, er will die Verfügung vor Gericht anfechten.

Für die Verteidiger der Beschuldigten im «Sommermärchen» ist die AB-BA-Verfügung, die ihnen mittlerweile ungeschwärzt vorliegt, eine Steilvorlage. Sie sehen sich bestätigt in ihrer Haltung, dass ihre Klienten kein faires Verfahren erhalten, weil die Bundesanwaltschaft mit der als Privatklägerin auftretenden Fifa kungelte und nicht sauber arbeitete.

Aufsicht: Fifa steuerte Laubers Verfahren mit

Die Anwälte von Linsi beantragen jetzt, unter anderem die Hauptdarsteller der heimlichen Treffen als Auskunftspersonen oder Zeugen vorzuladen: Michael Lauber, Gianni Infantino, Rinaldo Arnold, André Marty. Ebenfalls gehört werden sollen Olivier Thormann und weitere mit dem Fussball-Fall befasste Staatsanwälte. Thormann sei der «Architekt» einer Vereinbarung vom Januar 2016 zwischen der Bundesanwaltschaft und der Fifa gewesen. Dank dieser Vereinbarung habe die Fifa eine «faktische Mitherrschaft» über das Verfahren ausgeübt, zitieren die Anwälte aus der AB-BA-Verfügung.

Michel Platini soll als Zeuge aussagen

Auch der ehemalige Uefa-Präsident und Michel Platini soll als Zeuge aufgeboten werden. Auch sein Name erscheint, neben dem von Sepp Blatter, in der Verfügung der Aufsichtsbehörde: Unter einer der geschwärzten Passagen, wie die «Neue Zürcher Zeitung» berichtete. Die AB-BA vermutet, dass der Walliser Staatsanwalt Arnold im Sommer 2015 zu einem Treffen mit Lauber nach Bern reiste, um im Auftrag von Infantino zu sondieren, ob die Bundesanwaltschaft gegen Platini und Fifa-Präsident Sepp Blatter ermittelte. Denn Infantino habe sich damals selbst dafür interessiert, Fifa-Präsident zu werden. Dieser liess dies alles kürzlich vehement dementieren.

Infantino erbte den Präsidentensitz

Aber einige Monate nach dem Treffen von Arnold mit Lauber eröffnete die Bundesanwaltschaft ein Strafverfahren gegen Sepp Blatter, weil dieser Platini widerrechtlich zwei Millionen habe auszahlen lassen. Blatter und Platini waren damit aus dem Rennen als Fifa-Chefs, die Bahn war frei für Infantino. Das Verfahren gegen Blatter läuft heute noch bei der Bundesanwaltschaft, ohne sichtbare Fortschritte. Blatter wie Platini geben sein langem an, sie seien Opfer eines Komplotts geworden. Die Verfügung der AB-BA bestärkt sie nun in dieser These.

Wegen Corona hat das Bundesstrafgericht das Verfahren um die Fussball-WM 2006 bis mindestens am 20. April sistiert. Ob und wie es dann weitergeht, ist derzeit offen. Bisher konnten weder Zeuge noch die vier Beschuldigten gehört werden. Die Zeit drängt, weil die Betrugsvorwürfe Ende April verjähren.