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Schweiz

Marcel Dettling ist Kronprinz auf die Rösti-Nachfolge - doch er steckt in einem unglaublichen Dilemma

Nationalrat Marcel Dettling (38) lebt in Oberiberg (SZ) auf 1130 Metern. Die SVP hat den Landwirt zum Rösti-Nachfolger aufgebaut. Doch Rösti trat zu schnell zurück. Dettlings drei Kinder sind eigentlich noch zu jung.
Marcel Dettling (38), Landwirt und SVP-Nationalrat von Oberiberg (SZ). (zvg)
Nationalrätin Sandra Sollberger. (Keystone)
Nationalrat und Banker Thomas Matter. (Keystone)

Othmar von Matt

Othmar von Matt

Othmar von Matt

Als Marcel Dettling 2018 in den Parteileitungsausschuss befördert wurde, das SVP-Machtzentrum, wunderten sich die Medien. Sie sahen im Landwirt einen Mitläufer. Nationalrat Andreas Glarner aber dachte: «Hoppla, da geht etwas.»

Eine Einschätzung, die sich im März 2019 erhärtete. Dettling, 38, aus Oberiberg (SZ), erst dreieinhalb Jahre im Parlament, kletterte vom Sitz in der viertletzten in die allerhinterste Reihe der SVP-Fraktion: Er erbte den Platz des zurückgetretenen Toni Brunner. Den Sitz in der Reihe, von der aus die SVP-Spitze ihre Politik orchestriert.

Spätestens da wurde klar: Dettlings raketenhafter Aufstieg hat System. Die SVP baute ihn gezielt auf, um dereinst Albert Rösti als Präsidenten zu beerben. In der Tradition der vielen bauernnahen Präsidenten. Das bestätigen Insider.

Rösti hat die Pläne durcheinander gebracht

Der überraschende Rücktritt von Rösti bringt nun aber die Planung durcheinander. Dettling kann sich nicht - wie vorgesehen - noch bis 2023 an das Amt herantasten. Vor allem aber sind seine drei Kinder Julia (5), Eliane (6) und Remo (8) noch sehr jung. In vier Jahren wären sie weit selbständiger gewesen.

Trotzdem muss der Kronzrinz in spe nun früher ran. Zusammen mit Parlamentariern wie Thomas Matter (ZH) und Sandra Sollberger (BL) steht er als Nachfolger von Albert Rösti zur Diskussion. Noch hat niemand Ja gesagt zu einer Kandidatur. Bisher gab es nur Absagen, wie von den Nationalräten Mike Egger (SG) und Diana Gutjahr (TG). Der Parteileitungsausschuss setzt nun eine Findungskommission ein unter dem Vorsitz von Caspar Baader.

Die Erwartungen an den neuen Präsidenten sind nach der Niederlage bei den Wahlen 2019 ausgesprochen hoch. Die grösste Partei sackte von 29,4 auf 25,6 Wählerprozente ab, verlor 12 Nationalratssitze, gewann aber einen Ständeratssitz.

Der engste Kreis um Doyen Christoph Blocher fordert vom neuen Präsidenten drei Dinge: noch mehr Zeit, noch unermüdlicheres Engagement in Kantonen und Sektionen, noch mehr Durchsetzungskraft. «Ich war sehr viel unterwegs», sagt Rösti. «Vom neuen Präsident wird aber noch mehr vor Ort in den Kantonen erwartet.» Der zeitliche Aspekt stehe dabei klar im Vordergrund.

«Der neue Präsident muss die Bereitschaft mitbringen, hart an der Mobilisierung zu arbeiten», sagt Rösti. «Das ist ein zentrales Erfolgsmerkmal.» Für ihn lässt sich die Niederlage nicht nur mit der grünen Welle erklären. Einige Kantone verloren überdurchschnittlich. Rösti nennt zwar keine Namen. Dennoch scheint klar: In Kantonen wie dem Aargau und praktisch in der ganzen Westschweiz liegt strukturell einiges im Argen.

Céline Amaudruz hinterfragt sich als Vizepräsidentin

«Ich muss auch mich selbst als Vizepräsidentin hinterfragen», sagt Céline Amaudruz, zuständig für die Westschweiz. «Diese Reflexion ist wichtig. Sollte mich jemand als Vizepräsidentin in Frage stellen, werde ich sehr gut zuhören.» Amaudruz kann sich vorstellen, den Titel einer «Ersten Vizepräsidentin» zu schaffen, um den Romands mehr Gewicht zu geben.

Als idealer Rösti-Nachfolger gilt intern bei vielen Marcel Dettling. Wie einst Toni Brunner bewirtschaftet er einen Bauernhof, wird als Naturtalent beschrieben, als schlau, besonnen, klar, anständig und volkstümlich. Ein «gmögiger» Typ halt, wie ihn sich Bundesrat Ueli Maurer wünscht. Einer, der auch über sich selber lacht und mit einem Grashalm im Mund Gemütlichkeit verströmt. Einer, der französisch spricht, weil er ein landwirtschaftliches Lehrjahr in Yverdon (VD) absolvierte. «Dettling entspricht der DNA unserer Partei», sagt Nationalrat Franz Grüter.

Angesichts der hohen zeitlichen Anforderungen an das Amt ist aber eines klar: Als SVP-Präsident sähe Dettling seine drei Kinder die nächsten vier Jahre kaum mehr. Von seinem Hof in Oberiberg auf 1130 Metern müsste er Tag für Tag die Schweiz bereisen. Schon alleine Fahrten nach Zürich oder Luzern kosten ihn 80 Minuten. Wer sich auf Dettlings Homepage das Video mit seinen Kindern ansieht, kann sich das schwer vorstellen. «Wenn du deine eigenen Kinder aufwachsen siehst», sagt er da, «kennst du den Sinn des Lebens.»

Probleme mit den zeitlichen Anforderungen haben auch mögliche Kandidaten wie Thomas Matter und Sandra Sollberger. Beide sitzen im Parteileitungsausschuss, beide haben eigene Unternehmen. Matter ist Alleinaktionär der 2005 gegründeten Matter Group und Verwaltungsrats-Präsident der Neuen Helvetischen Bank. Er ist operativ stark involviert. Matter hat aber auch vier Töchter, die ihm «sehr wichtig» seien, wie er auf SRF sagte. Sollberger ist Geschäftsführerin und Verwaltungsrätin des Familienbetriebs Sollberger Maler AG.

Provokation oder Konzilianz? Das ist die Frage

Eine wichtige Frage ist, welchen Stil Röstis Nachfolger vertreten soll. «Schmusekurs in Zürich, anbiedern und lieb sein auf alle Seiten: Diese Strategie ging in die Hosen», sagt Nationalrat Andreas Glarner. Rösti nimmt er aber in Schutz. «Wir brauchen jetzt wieder deutliche Ansagen, kein Wischiwaschi», sagt Glarner, der als Präsident der SVP Aargau kandidiert.

Anders sieht das Rösti: «Ohne meine konziliante Art hätten wir wohl die Wahlen deutlicher verloren», denkt er. «Ich glaube nicht, dass die heutige Zeit nach Poltern verlangt.»

Von einem Präsidenten Marcel Dettling jedenfalls wäre Andreas Glarner angetan: «Dettling ist fast eine Kopie von Toni Brunner, ein <gmögiger> Innerschweizer, der inzwischen sackstark reden kann.»