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Administrative Versorgung

Expertenkommission will Fristverlängerung

Die Opfer administrativer Versorgungen haben nach Ansicht der Unabhängigen Expertenkommission (UEK) nicht genügend Zeit gehabt, Entschädigungsforderungen zu stellen. Die Experten sprechen sich daher für eine Fristverlängerung aus.
Die Unabhängige Expertenkommission (UEK) des Bundes zur Aufarbeitung der administrativen Versorgungen in der Schweiz bis 1981 hat erste Ergebnisse ihrer Arbeit präsentiert. Der Präsident der UEK, Markus Notter, erläuterte an einer Medienkonferenz in Bern das Vorgehen.
Bild: KEYSTONE/PETER KLAUNZER

Die Frist für Entschädigungsforderungen von ehemaligen "Verdingkindern" ist am 31. März 2018 abgelaufen. Der Bundesrat hat sich bisher dagegen ausgesprochen, die Frist zu verlängern, wie er zuletzt im Dezember auf einen Vorstoss des Basler SP-Nationalrates Beat Jans antwortete. Dieser verlangte eine Verlängerung der Frist bis Ende 2022.

Opfer müssten den Mut aufbringen, über die Vorfälle zu reden. Sie müssten ihre Nächsten darüber informieren, aber auch Beweise über ihre Vergangenheit finden. Das alles brauche viel Zeit, begründete die Historikerin Anne-Françoise Praz, Vizepräsidentin UEK, am Montag vor den Medien in Bern die Forderung nach einer Fristverlängerung.

Die UEK, die die Geschichte der administrativen Versorgungen vor 1981 wissenschaftlich untersucht hat, hat am Montag den ersten von zehn Berichten vorgelegt.

Die aus neun Historikern und Experten aus den Bereichen Psychiatrie, Recht und Sozialwissenschaften bestehende UEK wurde im November 2014 vom Bundesrat eingesetzt. Das Ziel war es, die Geschichte der administrativen Versorgungen und damit das begangene Unrecht erstmals umfassend und gesamtschweizerisch aufzuarbeiten. Der Fokus der Arbeiten liegt auf der Zeit von 1930 bis 1981.

Tausende von Betroffenen

2014 hiess es, dass in der Schweiz schätzungsweise zwischen 15'000 und 25'000 Personen lebten, die von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen oder Fremdplatzierungen betroffen waren.

Unter administrativer Versorgung verstehen die Forschenden Massnahmen, die zu einem Freiheitsentzug in einer geschlossenen Anstalt führten. Die Menschen wurden nämlich nicht interniert, weil sie eine Straftat begangen hatten, sondern weil ihr Handeln und ihr Lebensstil aus Sicht der Behörden nicht den damaligen gesellschaftlichen Normen entsprachen.

Die Ergebnisse werden nun in zehn Publikationen zwischen März und September 2019 veröffentlicht. Den Auftakt macht ein Porträtband. Er zeigt in schwarz-weiss Fotos 60 Menschen, die eine administrative Versorgung erlebten. Texte verdeutlichen die einschneidenden individuellen Folgen dieser Zwangsmassnahmen.

Acht weitere Bände bis im September

Von Mai bis Juni wird die UEK acht weitere Bände mit Erkenntnissen ihrer Arbeit veröffentlichen. Band 2 enthält dabei literarische Texte, Quellenbeispiele und Gespräche. Im dritten Band wird die Sozial- und Kulturgeschichte des Rechts und der Legitimierung der Gesetzesbestimmungen der administrativen Versorgung untersucht.

Der folgende Band arbeitet Verhörprotokolle, schriftliche Lebensgeschichten und Briefe internierter Personen auf. Der fünfte Band untersucht anhand von 58 Interviews, welche Menschen von der administrativen Versorgung betroffen waren, wie sie die Internierung erlebten und welche Auswirkungen diese auf ihr Leben hatten.

Differenzierte Schätzungen darüber, wie viele Personen betroffen waren, wird der sechste Band liefern. Die Behördenpraxis anhand von Fallbeispielen in vier Kantonen untersucht der folgende Band. Die Praxis und Umsetzung in den Anstalten an verschiedenen Fallbeispielen zeigt Band 8. Die Publikationsreihe wird mit einem Quellenband abgerundet.

Empfehlungen erst im September

Besonders interessant dürfte der Synthesebericht mit Empfehlungen an den Bundesrat sein. Er wird von der UEK im September 2019 veröffentlicht.

Ab Montag bis zum 3. Juni macht eine Ausstellung mit einem begehbaren Pavillon in zwölf Schweizer Städten Halt. In Bildern, Texten und Illustrationen werden hier die involvierten Akteure vorgestellt und die Motive, die hinter dieser Art von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen standen, erklärt. Mit Quellenmaterial werden dabei regionale Bezüge hergestellt.

Wanderausstellung und Unterrichtsmaterial

Parallel zur Ausstellung finden an jedem Halt verschiedene Veranstaltungen, etwa Filmvorführungen , Vorträge und Diskussionen sowie Führungen durch die Räumlichkeiten ehemaliger Anstalten statt. Erster Halt der Ausstellung ist Bern.

Das Thema soll auch in den Schulen vermittelt werden. Ziel sei es, damit "einen Beitrag zur nachhaltigen Rehabilitierung der betroffenen Personen" zu leisten. Die Pädagogische Hochschule Bern hat dazu in Zusammenarbeit mit der UEK vier Ideensets für Lehrpersonen geschaffen. (sda)