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Horrorfilme

Zu Halloween werden wieder Horrorfilme ausgepackt. Kein Wunder, das Genre ist äusserst erfolgreich

Früher galt der Horrorfilm als Schmuddelkind des Kinos. Diese Zeiten sind längst vorbei, das Genre blüht und hat längst den Mainstream gepackt.

Kaum eine Saison scheint so sehr zum gepflegten Grusel zu passen wie der Herbst. Wenn die Blätter fallen, das Ende des Jahreszyklus im Nebel näher rückt und man sich ins traute Heim zurückzieht, kann die Lust am Unheimlichen schnell wachsen. Symbolisch dafür steht Halloween, dessen Ursprung im heidnischen Samhaim-Fest von der Unterhaltungsindustrie amerikanischer Bauart gekapert und global exportiert wurde: Süsses oder Saures! Der gemeinsame Horrorfilmabend für die Zeit um Halloween hat sich ebenso institutionalisiert wie die Spezialproduktionen im TV, etwa die jährliche «Treehouse-of-Horror»-Episode bei den «Simpsons».

Es gab eine Zeit, da waren Horrorfilme die heimlichen Schmuddelkinder des Kinos. Eingefleischte Begeisterte besuchten sie zu später Stunde, pilgerten an obskure Mitternachtsvorstellungen, auf die grelle Plakate mit noch grelleren Slogans hinwiesen. «Wer wird überleben und was wird von ihnen übrig sein?» («The Texas Chainsaw Massacre») Oder: «Wenn in der Hölle kein Platz mehr ist, werden die Toten auf der Erde wandeln» («Dawn of the Dead»). Auf Videokassetten und DVDs prangten deutlich rote Aufkleber, Banderolen signalisierten: Vorsicht, Jugendschutz!

Doch nicht nur Minderjährige mussten vor der behaupteten amoralischen Grausamkeit gewarnt und behütet werden. Selbst Erwachsene bekamen Zorn und Zensur einer bürgerlich braven Gesetzgebung zu spüren: Jahrzehntelang wurden Horrorfilme geschnitten, verstümmelt, verboten, geschmäht. Bis heute kommt man in etlichen Ländern, darunter auch Deutschland, nicht in das uneingeschränkte Vergnügen von beschlagnahmten Aufregern wie «Ein Zombie hing am Glockenseil» oder Peter Jacksons blutigen Rasenmäherspass «Braindead».

Tief im Mainstream verankert

Trotz solcher juristischer Relikte haben sich die Zeiten gewaltig geändert. Heute findet sich «The Texas Chainsaw Massacre» nicht mehr auf dem Index, sondern in der Sammlung des New Yorker Museum of Modern Art. Der Horrorfilm in all seinen Facetten war ebenso wenig kleinzukriegen wie seine Protagonisten, all die Monster, Mumien, Vampire, Zombies, Geister, Serienkiller.

Das Genre prosperiert, hat seine Spurenelemente längst tief im Mainstream verankert und in den letzten Jahren ein neues Publikum für sich gewinnen können. Selbst die Superheldenfabrik Marvel, die ein enorm breites Publikum anspricht, hat dieses Jahr mit «Doctor Strange in the Multiverse of Madness» ihren eigenen, allerdings recht zahmen Genrebeitrag lanciert.

Nicht nur die Reich- auch die Bandbreite ist vielfältiger geworden, wie immer, wenn sich ein Genre ausdifferenziert und ausprobiert. Die vielen Spielarten des Horrors beinhalten die Parodie auf sich selbst («Scary Movie»-Reihe, «Tucker and Dale vs Evil») ebenso wie Reflexionen über ihr Wesen und ihre Funktionsweise («Behind the Mask»). Wie andere Subkulturen, ist auch der Horror seiner Nische entwachsen – und breitenwirksam kommerzialisiert worden. Gegenwärtig ist kein Ende des Schreckens mehr abzusehen, ohne Horror kommt das Kino ebenso wenig aus wie ohne seine Horrorgestalten.

Seit der Jahrtausendwende entstiegen sämtliche Schauerlegenden in unzähligen Remakes und Sequels ihren Gräbern. Die literarischen Klassiker wie Dracula, Frankensteins Monster oder der Unsichtbare ebenso wie der Kinderschänder Freddy Kruger oder Leatherface, der in Texas die Kettensäge schwingt. Anfang Oktober ist eine weitere Adaption von Clive Barkers «Hellraiser» beim Streamingdienst Hulu angelaufen, drei neue Teile von «The Exorcist» sind ab 2023 geplant; eine vollzählige Liste aller derzeit geplanten Genre-Produktionen wäre unüberschaubar.

Auch jenseits der grossen Leinwand ist das Spiel mit dem Schrecken nicht mehr wegzudenken. Spätestens seit dem lange anhaltenden Erfolg von «The Walking Dead» und «American Horror Story» geht der Horror regelmässig in Serie. Der wohl grösste Hit ist «Stranger Things» auf Netflix. In Serienform können die unheimlichen Geschichten mit anderen Genres gemischt, punktuell vertieft oder auf eine speziellere Zuschauerschaft mit eigenen Vorlieben zugeschnitten werden. Einzelne Figuren wie Norman Bates aus Hitchcocks «Psycho» werden bis ins letzte Detail ausgelotet («Bates Motel»).

Beliebt ist auch das Format der Anthologie-Serie mit einzelnen Geschichten. So darf sich seit dem 25. Oktober der mexikanische Oscar-Preisträger Guillermo del Toro im «Cabinet of Curiosities» auf Netflix austoben. Ebenfalls auf der Streamingplattform - und für alle Altersgruppen - belebt Tim Burton im November mit «Wednesday» die «Addams Family». Und Lars von Trier, der Meister der intellektuellen Traumaverarbeitung, lässt in der Dritten Staffel von «Riget» erneut die Geister in einem Kopenhagener Spital spuken.

Oftmals nur kurze Schockmomente

Gerade Reihen wie «Friday the 13th» oder «Nightmare on Elm Street» waren immer schon unverwüstlich, konnten sie doch auf eine treue Fanbasis bauen. Doch selten waren sie in einem derart grossen Stil so erfolgreich wie in den letzten Jahren: 2018 spielte das Remake von «Halloween» 160 Millionen Dollar ein. Das Original von John Carpenter hatte es 1978 auf 70 Millionen gebracht. Der aktuell noch im Kino laufende Teil «Halloween Ends» gilt dagegen - Stand jetzt - mit der erwarteten gleichen Zahl von rund 70 Millionen Dollar als Flop.

Gewiss hinkt dieser historische Vergleich, da bei solchen Rechnungen Faktoren wie gestiegene Ticketpreise oder die Inflation eine gewichtige Rolle spielen. Dennoch ist die Wirtschaftlichkeit der oft günstig produzierten Genrebeiträge potenziell hoch, was sie nicht nur bei den Zuschauern, sondern auch bei den Studiobossen beliebt macht. Dass aktuell der Low-Budget-Film «Smile» mit 100 Millionen Dollar mehr als das Fünffache seines Budgets einspielt, mag eine kleine Überraschung sein, aber bei weitem keine Sensation mehr.

Nach jeder Hochzeit droht ein Kater. Auch für das Horror-Genre besteht ein Risiko: Dass bald die Stagnation eintritt. Zu viele Remakes oder Sequels sättigen den Markt. Häufig stammen die Ideen vom Reissbrett, ist der kurze Schockmoment wichtiger als ein länger anhaltendes Grauen. Ein Meisterwerk wie «Wenn die Gondeln Trauer tragen» findet man gegenwärtig selbst in der Überproduktion nicht öfter als früher. Grosse Regisseure wie Wes Craven oder George Romero sind tot, andere verwalten nach Jahren filmischer Abstinenz ihr Vermächtnis wie dieses Jahr erst Dario Argento («Dark Glasses – Blinde Angst») oder David Cronenberg («Crimes of the Future»).

Politische Kommentare auf die Gegenwart

Nicht alles nährt sich von der Nostalgie. Abseits einer permanenten Vergangenheitshuldigung bemühen sich Regisseurinnen und Regisseure wie Ari Aster, Ti West oder Ana Lily Amirpour um neue Impulse. Den womöglich wichtigsten lieferte Jordan Peele 2017 mit seiner Horror-Satire «Get Out». Die Geschichte um einen Afroamerikaner, der die scheinbar liberale Familie seiner Freundin besucht und dort auf ein grauenvolles Geheimnis stösst, wurde für vier Oscars nominiert und erhielt denjenigen für das beste Drehbuch. Ähnlich wie «The Silence of the Lambs», 1992 mit fünf Oscars ausgezeichnet, erinnerte «Get Out» daran, dass Horror eine prämierte Kunstform sein kann.

Dabei bot das Genre schon immer politische Kommentare auf die jeweilige Gegenwart. So waren die Zombiereisser von George Romero in den 60er Jahren eine Reaktion auf eine gespaltene USA mit Bürgerrechtskämpfen, Vietnamkrieg und ungezügelten Konsumrausch. Und auch zahlreiche Horrorfilme der Gegenwart wie «It Follows», «Midsommar» oder «Us» spiegeln die Debatten um Identitätspolitik, Rassismus, Kolonialvergangenheit und persönliche Selbstbestimmung wider.

Der Horror ist salonfähiger geworden, als er schon einmal war. Doch warum gruseln wir uns ausgerechnet in einer Welt, die genug Schrecken bereithielte, so gerne? Müssten wir uns nicht eher vor dem Klimakollaps ängstigen als vor einer Zombiearmee? Uns mehr vor einer Geld verschlingenden Inflation fürchten als vor einem Kannibalen?

Vielleicht brauchen wir gerade in horrenden Zeiten den Horror, wie auch Stephen King meint. Als Ventil für unsere Ängste ebenso wie als Analyseinstrumente für die vielen Gestalten des Grauens. Denn der Horrorfilm lehrt uns nicht nur erfolgreich das Fürchten. Er lehrt uns auch, die Furcht zu verstehen.

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