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Porträt

US-Ikone Erica Jong: «Auch der Feminismus braucht Humor, um Bestand zu haben»

Die amerikanische Legende des Feminismus, Erica Jong, ist 80. Mit ihrem Buch «Angst vorm Fliegen» löste sie vor fünfzig Jahren eine weltweite Debatte aus. Nun wird ihr Leben verfilmt. Wir haben sie in New York getroffen.

Erica Jong im Film «Breaking the Wall»: «Ich spreche über mein Leben, mein Schreiben, ich denke, es funktioniert.»
Bild: Vinca Film

Erica Jong sitzt mir am Esszimmertisch ihrer Wohnung an der eleganten Upper East Side Manhattans gegenüber. Frau und Wohnung sind mir schon vertraut, denn ich habe den neuen Schweizer Dokumentarfilm über sie vorab gesehen: «Erica Jong – Breaking the Wall». Sie sieht fragiler aus als im Film, wirkt sanfter, weniger eitel auch. Zu Beginn der Dreharbeiten habe man sie «permanent etwas abschminken müssen», wie der Regisseur mir sagte. Jetzt begegnet Erica Jong mir ungeschminkt und im T-Shirt. Inzwischen ist sie 80 Jahre alt. Doch da ist immer noch ihre warme, melodiöse Stimme, ihr Humor, ihr herzhaftes Lachen.

In Erica Jongs Rücken hängt ein Porträt von ihr als junges Mädchen, gekleidet wie eine Japanerin. Das habe ihre Mutter gemalt, eine sehr talentierte Malerin. Als junge Frau wurde ihr gesagt: «Sie sind zwar die Beste ihrer Klasse, wir geben ihnen den ‹Prix de Rome› aber trotzdem nicht, weil sie ohnehin bald damit beschäftigt sein werden, Kinder zu gebären.» Die Mutter war Zeit ihres Lebens darüber verbittert, und Erica Jong musste sich diese Geschichte wieder und wieder anhören. Dass sie trotz ihres Geschlechts als Autorin Karriere machte, erfüllte die Mutter weniger mit Stolz denn mit Neid.

Erica Jong hat erst mal sich selbst emanzipiert – und danach Millionen von Frauen, ihre Leserinnen. Mit ihrem über 37 Millionen Mal verkauften Bestseller «Angst vorm Fliegen». Darin wachsen einer jungen Frau Namens Isadora Wing Flügel: Sie bricht aus ihrer Ehe aus, lebt ihre sexuellen Fantasien, wagt es, ihre eigenen Wünsche ernst zu nehmen, sich selbst zu sein. Das autofiktionale Buch wurde zum Skandal, die Autorin zum beliebten Talk-Show-Gast. «Ich wurde in den Medien immer auf die skandalösesten Dinge reduziert», sagt sie, «und ich dachte immer: Das bin nicht ich. Ich bin gar nicht skandalös.»

Die Fantasie von unverbindlichem Sex

Erica Jong hat seither 19 Bücher und zahlreiche Gedichte geschrieben. Doch bis heute wird sie von vielen auf eine einzige Begriffskreation aus ihrem ersten Erfolgsroman reduziert, auf den «zipless fuck», den reissverschlusslosen Fick. Gemeint ist unverbindlicher Sex, bei dem «Reissverschlüsse sich lösen wie Rosenblätter». Voraussetzung dafür sei, den Mann nicht näher kennen zu lernen; denn jegliche Verliebtheit löse sich auf, wenn der Mann beginne über seine Probleme zu jammern und seine Ex-Frau zu nörgeln. Am Ende des Romans stellt die Heldin fest, dass der «zipless fuck» nur als Fantasie taugt. Jedenfalls für sie.

Der Porträtfilm über sie zeigt in Archivszenen, wie Erica sich in den 70ern als schlagfertige, junge Frau gegen selbstgefällige Moderatoren zur Wehr setzt. Nicht die Sexszenen in ihren Büchern sind aus heutiger Sicht skandalös, sondern der Sexismus dieser Männer. 1975 gab Jong dem Playboy ein Interview, in dem sie womöglich das klügste über Sex sagte, was je in diesem Heft zu lesen war: «Ich glaube, das Wesentliche ist, zu verstehen, dass Körper und Kopf miteinander verbunden sind. Das Problem der meisten Menschen ist, dass sie sich zu sehr auf ihre Genitalien konzentrieren.»

Dieses Jahr wird der Befreiungsroman «Angst vorm Fliegen» 50 Jahre alt. «Oh my God», ruft Erica Jong, «darüber denke ich gar nie nach!» Genau gleich alt wie ihr Buch ist «Roe v. Wade», der Gerichtsentscheid, der Abtreibungen damals in den USA grundsätzlich legalisiert hat – und kürzlich national wieder abgeschafft worden ist. Was denkt sie darüber? «Das ist schockierend», sagt sie, «aber Gesetze spezifisch für Frauen haben es immer schwer. Ich glaube, die Männer sind neidisch darauf, dass nur Frauen Kinder gebären können. Diese Macht haben sie nicht, also versuchen sie, auf politischem Weg Macht über die Frauen zu gewinnen.»

Dem Kultbuch eilt so viel über das Buch voraus. Als ich es endlich selber las, hat es mich mehrfach überrascht, wie ich jetzt Erica Jong sage. Warum, fragt sie zurück – sie fragt überhaupt sehr viel zurück, stets am Gegenüber interessiert. «Es ist sehr lustig», sage ich. «Aber natürlich ist es das», sagt Erica Jong, «das Leben ist wunderbar und lächerlich zugleich – denken Sie nicht? Auch der Feminismus braucht Humor, um Bestand zu haben.»

Überrascht hat mich auch, dass es im Buch in einer der zahlreichen Nebengeschichten um die damals noch verhaltene Aufarbeitung der Nazivergangenheit in Deutschland geht. «Well», kommentiert Jong: «Es ist mir um das komplette Innenleben dieser Figur gegangen. Da gehört alles dazu.»

Am meisten erstaunt hat mich aber, wie unfeministisch die Heldin sich verhält für eine Feministin. Sie verlässt einen Mann nur für den nächsten, wirkt abhängig von der sexuellen Bestätigung durch Männer. Als Frau müsse man eben zunächst lernen, unabhängig zu werden, erwidert Erica Jong. Am Ende sei es ihr immer um die Wahrheit gegangen: «Ich wollte möglichst wahrheitsgetreu über Frauen und ihre Gefühle schreiben. Sodass jemand, wenn sie das Buch zur Hand nimmt, denkt: ‹Oh, das kommt mir bekannt vor, das hilft mir dabei, mich selbst zu verstehen›.

Nicht pornografisch, sondern Befreiungsgeschichte einer Frau

Als «Angst vorm Fliegen» 1973 herauskam, war Regisseur Kaspar Kasics ein Germanistikstudent, der sich auf Kafka und Horvath konzentrierte; er mied das Buch, von dem es in seinen Kreisen hiess, «es sei schlechte, pornografische Literatur». Erst fast 50 Jahre später kam er über Umwege auf Erica Jongs neustes Buch «Angst vorm Sterben» und stellte fest, dass die Autorin «eine ganz kluge Frau mit einer unglaublichen Lebenserfahrung ist, mit einer Weisheit, wie ich sie selten gekannt habe bei Schriftstellern».

Danach habe er sofort auch «Angst vorm Fliegen» gelesen und fand es «überhaupt nicht pornografisch, sondern eine unglaubliche Befreiungsgeschichte einer Frau, die damit zunächst in eine Sackgasse gerät – was genau das Tolle am Buch ist». Tatsächlich macht das Erica Jongs Figuren für die meisten so zugänglich: Sie gestehen ihre Schwächen ein und können über sich selbst lachen. «Sie verkörpern keine Lösungen», sagt Kasics.

Schweizer Dokumentarfilmer, Autor und Filmproduzent Kaspar Kasics: «Auf Umwegen auf Jong gestossen.»
Bild: Keystone

Kasics findet Erica Jongs Bücher bis heute aktuell: «Sie steht ein für die Kreativität der Frau, und nimmt auch uns Männern die Angst vor Gleichberechtigung.» Für seinen Film war es ihm auch wichtig, Jongs vierten Ehemann, Ken Burrows, kennen zu lernen, und zu sehen, warum diese Ehe denn nun seit über 30 Jahren so gut funktioniere.

Zwei Jahre waren die Dreharbeiten schon im Gange, als 2020 die Pandemie die Aufnahmen kurz vor Schluss jäh unterbrach; einige letzte Gespräche habe er nicht mehr persönlich mit ihr und ihren Nächsten führen können. So entschied er sich notgedrungen etwa dazu, Erica Jongs Tochter wegzulassen – Molly Jong-Fast, ebenfalls eine erfolgreiche Autorin.

Kaspar Kasics hat Erica Jong sehr spät entdeckt, ist aber der Erste, der sie verfilmt. Erstaunlicherweise hat es einen Schweizer gebraucht, um auf die nahe liegende Idee zu kommen, dieser Ikone des US-Feminismus einen Film zu widmen.

Wie hat Erica Jong der Film über sie gefallen? «Ich spreche über mein Leben, mein Schreiben, ich denke, es funktioniert», sagt sie: «Der Film ist gut, ich finde ihn wirklich wunderbar.»

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