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Theater

Schweizer Sterbehilfe für Gerhard Polt! Ruedi Häusermann arrangiert in München ein historisches Begräbnis

«A scheene Leich» heisst Gerhard Polts neues Stück an den Münchner Kammerspielen. Der Freistaat Bayern bejubelt einen Schweizer Abend: Verantwortlich dafür ist der Aargauer Ruedi Häusermann.

Nekro-Ökonom und Bestattungsunternehmer Pius Brunner (Gerhard Polt) bildet seine Ritualdesigner (Stefan Märki vorne) in Urnenkunde weiter.
Bild: M. Korbl

Heute Nacht sind alle da. Die Fleischsupp’n, der Tafelspitz und die Fans von Gerhard Polt, die schon vor vierzig Jahren vor dem Theater über Nacht ausharrten, um an eine Karte zu kommen. Es sind da, der boarische Adel, die Adabei – und aus Düsseldorf der Sänger und Schauspieler Campino. Der Frontman der «Toten Hosen» fällt Gerhard Polt an der Premierenfeier in die Arme: «Mensch, war das toll!»

Highlife an den Münchner Kammerspielen nach einem Ereignis, auf das man acht Jahre lang gewartet hat. An der Party spielt Ruedi Häusermann auf der Klarinette mit den Brüdern Well Schweizer Hudigäggeler, «sie hören jetzt Radio DRS 1». Der Hausheilige Polt ist zurück auf der Bühne – dank ihm, Häusermann, Musikpoet und Sparringpartner. Die Farce über die neoliberale Sterbeindustrie, «A scheene Leich», verantwortet von Polt, belebt von einem Laienchor, inszeniert, arrangiert und ästhetisch eingesargt von Häusermann ist gallig, schwarzhumorig, eine angreifbare, weil höchstkritische Abrechnung mit dem Versagen des Sozialstaats.

Denn, wo der Staat und die Kirche heute fehlen, so Polt, springen sie in die Marktlücke, sogenannte Ritualdesigner ein wie die Zentralfigur in «A scheene Leich». Polt spielt im Stück diesen Pius Brenner, ein Verheizer von alten Menschen quasi, die keiner mehr will. Brenner selbst bezeichnet sich als Old-Age-Manager, Nekro-Ökonom, er ist der Inhaber der «Pietas Ruhe GmbH», ein «börsenorientiertes» Joint Venture aus Bestattungsinstitut und Seniorenresidenz – mit guten Connections in die Politik.

Musikpoetische Regie wie ein Schweizer Uhrwerk

Der Tod ist die sicherste Pointe. Und durchaus eine Geschäftsgrundlage! Wenn es einer weiss, wird es ein Schweizer sein. Nicht zuletzt wurde in der Schweiz der Verein Dignitas erfunden. In Deutschland ist man noch nicht so weit. Hier besitzt man allerdings Gerhard Polt, den wohl tiefsten Denker des bayrischen Freistaats und Freund des Schweizer Musikpoeten Ruedi Häusermann.

Und was schon ewig lang zu erwarten war, wird jetzt Wahrheit: Häusermann inszeniert zum ersten Mal nicht sein eigenes Stück, sondern «A scheene Leich», das neuste von Gerhard Polt und den Well-Brüdern. Und nicht nur das, sagt er: «Es ist auch das erste Mal, dass ich nicht meine eigene Musik mitbringe.» Zwei Jahre lang hat das Team an der Entwicklung der Geschichte gearbeitet, für Polt und die Musiker «ein willkommener Anlass, sich noch einmal neu zu erfinden.»

Die Begräbnis-Combo (Gebrüder Well), gut aufgelegt in jeder Lebenslage.
Bild: M.Korbl

Häusermann trug dazu bei, dass die Rampen-Monologe von Polt und die Musiknummern der Wells «wie ein Schweizer Uhrwerk» ineinandergreifen. Begeistert von Polts «glasklarem Geist und seinem Geschichtsbewusstsein und dem Mut, sich in die Nesseln zu setzen», ist der Schweizer nach der Premiere ganz einfach nur «glücklich». Für das Stück, kaum im Vorverkauf, riss man sich die Karten aus den Händen, schon vor der Premiere war es bis Ende Februar ausverkauft.

Mit Grund, Polt thematisiert in «A scheene Leich» das Verschwinden einer Sterbekultur und des Sterbens als ritueller Ablauf in der Gesellschaft. Der Titel meint nämlich nicht die schöne Leiche als solche, sondern das Soziale rund um den Tod, das Beisammensein der Lebenden, die den Toten feiern, das Aufbahren bis zum Leichenschmaus. «A scheene Leich» beruht auf einem skandalösen Fall in Polts Wohngemeinde Schliersee, wo die Leitung des Altenheims seine Bewohnerinnen und Bewohner jahrelang systematisch grob vernachlässigte. Das weitere Spezialwissen aus der globalisierten Bestattungsindustrie hat das Team von einer Whistleblowerin gesteckt bekommen.

Der Bestatter (Polt) und sein nächster Kunde Sabo (Stefan Märki).
Bild: M.Korbl

Die Windel, Wunde und Würde(losigkeit) des Alters

Der Schweizer im Kammerspiel-Ensemble, Stefan Märki, spielt Herr Sabo, der erste in der «Warteschlaufe», der seiner Verwertung als Kunde der «Pietas» entgegensieht. Von seinen Angehörigen entsorgt, sitzt er unruhig im Rollstuhl, eine Decke der deutschen Armee über die Beine, die bosnische Pflegerin Iwanka wurde eingespart, ihm eine «Dreipfünder-Windel» umgeschnallt, der Pflegenotstand macht erfinderisch.

Die Well-Brüder kommentieren das Elend von Sabo mit ihren Gstanzln und parodieren das Marschlied «Ein Freund, ein guter Freund», das Heinz Rühmann einmal sang mit den Worten: «Ein Heim, ein gutes Heim, das ist das Schönste, was es gibt auf dieser Welt.» Im Zuschauerraum bleibt es über weite Strecken des Abends totenstill. Doch weil «A scheene Leich» nichts Grausliges, sondern etwas Lebenszugewandtes und Lustiges sein soll, wird am Ende die Trauer umschlagen: Wer zuletzt lacht, lacht wahrlich am besten, er ist noch einmal davongekommen.

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