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COMEDY

Lisa Christ: Ihr neues Programm ist ein Flirt mit dem Publikum - Laufpass inklusive

Aus schmerzhaft abgerungener Selbsterkenntnis macht sie Kunst: Die Slampoetin und Kabarettistin Lisa Christ tourt wieder – und ergründet mit ihrem zweiten Programm die Liebe. 

Die Bühnenkünstlerin Lisa Christ: Den Humor haben ihr andere angedichtet. Sie hat es immer ernst gemeint.

Lange bevor die Jugend vom Klima politisiert wurde, stand Lisa Christ (31) zum ersten Mal auf einer Slambühne. Die damals 16-Jährige sprach an jenem Abend im Jahr 2007 von den haarsträubenden Ungerechtigkeiten in unserer Welt. «Ich wollte die Welt wachrütteln», erklärt Christ in ihrem Bühnenprogramm «Love*», mit dem sie seit wenigen Tagen unterwegs ist. Das Publikum aus dem Jahr 2007 war getriggert – aber anders, als Christ sich das vorgestellt hatte. Es lachte. «Ich flirtete mit der Wahrheit, aber alle haben sich in die Unterhaltung verliebt», so umschreibt die Slampoetin ihre nicht ganz freiwillige Landung im Humorfach.

Ein fatales Missverständnis also? Ist die Satirikerin, Moderatorin und Slampoetin, die 2016 und 2018 im Final der deutschsprachigen Slammeisterschaften stand, von ihren Fans in der falschen Schublade abgelegt worden? Von Schubladen hat Christ ohnehin noch nie viel gehalten: «Schubladen sind gut für Kleider. Aber sie sind einfach zu eng für Menschen», schreibt sie in einem ihrer Bühnentexte, die man in ihrem 2018 erschienenen Buch «Im wilden Fruchtfleisch der Orange» nachlesen kann.

Der politisierte Frauenkörper ist ihr Thema

Es ist diese am Leben gereifte und dem Leben manchmal schmerzhaft abgerungene Selbsterkenntnis, welche die Bühnenkunst von Lisa Christ so unvergleichlich macht. Man hört ihr gerne zu, weil da zu jeder Zeit eine gnadenlose Ehrlichkeit aus dieser Frau spricht. Egal, ob sie auf der Bühne über das Alter sinniert, das bei ihr schon mit 25 zur persönlichen Katastrophe wurde, oder ob sie sich in ihrem feministischen Podcast «Faust & Kupfer» mit der Journalistin Miriam Suter über den politisierten Frauenkörper unterhält.

Was vor vielen Jahren auf den Slambühnen manchmal noch wie naive Betroffenheitslyrik aus dem Tagebuch wirkte, ist heute weit mehr als das. Christ schafft es, ihren Emotionenhaushalt mit messerscharfem Verstand zu ordnen, ihre Befindlichkeit mit den vorherrschenden Vorstellungen über Weiblichkeit zu spiegeln. Sie thematisiert damit die Probleme vieler junger Frauen, die das 30. Lebensjahr überschritten haben: das Missverhältnis zwischen gesellschaftlichen Ansprüchen in Bezug auf beruflichen Erfolg, Aussehen und die Kinderfrage und diesem privaten Sumpf aus ungeklärten Sehnsüchten, der mit dieser Gesellschaft da draussen wenig kompatibel ist.

Was also tun?, fragt sich Christ in regelmässigen Abständen selbst, und wird dabei zuweilen unfreiwillig philosophisch. Ihre genuin ernsten Anliegen, die man ihr 2007 in der Spass-Arena des Poetry-Slams noch nicht abnahm, finden inzwischen Gehör. Christ engagiert sich für mehr Diversität in der Slamszene und für Frauenrechte. Sie moderierte bis vor kurzem ein Nachwuchs-Comedyformat beim Schweizer Fernsehen. Als Satirikerin meldet sie sich in der SRF-Radiosendung «Zytlupe» regelmässig zu Wort – ein Salzburger Stier wäre in den nächsten Jahren fällig. Schliesslich steht er bei Patti Basler, Lara Stoll, Renato Kaiser, Fatima Moumouni und Laurin Buser bereits im Schrank – alle sind mit Christ auf den Slambühnen gross geworden.

Dass die manchmal sehr freizügige Zurschaustellung ihres Körpers auf ihrem Insta­gram-Account irritiert, nimmt sie in Kauf. Sie reflektiert ihre Beweggründe unentwegt, ermutigt auch andere Frauen, diese komplexe Motivlage aus Gefallsucht und dem Wunsch nach autonomem Selbstausdruck zu ergründen.

Dieser Exhibitionismus mit Mission ist auch in ihrem neuen Bühnenprogramm «Love*» allgegenwärtig. Christ hat den Abend konzeptionell als grosse Beziehungskiste zwischen Künstlerin und Publikum aufgezogen.

Der Abend ist ein intensiver Flirt, gefolgt von einer langen Phase der Beziehungskonsolidierung, auf die eine gesittete Trennung folgt. Zu diesem Zweck hangelt Christ sich entlang ihrer eigenen Biografie. Sie hat Gedichte und Tagebucheinträge ausgegraben, welche erste Verliebtheit und erste Enttäuschungen dokumentieren. Christ konfrontiert uns mit unzähligen Fotos ihres verweinten Gesichts – eine Bildergalerie privater Tragödien, was im Publikumsraum Unbehagen auslöst, aber auch das Zyklische jeder menschlichen Erfahrung offenbart. Und sie liefert Fakten zu unverheirateten, kinderlosen Frauen – den glücklichsten Menschen der Welt.

Erhabene Zeilen über die Liebe

Selbst die erhabenen Zeilen berühmter Männer von Augustinus über Goethe bis Tolstoi, Männer, die viel Gewichtiges und viel Gutes über die Liebe zu sagen haben, bleiben bei ihr nicht unwidersprochen. Als die ersten Störgeräusche dieser geschickt aufgebauten Publikumsbeziehung an diesem Abend hörbar werden, reicht Christ die abgeklärten, fast zynischen Aphorismen weiblicher Intellektueller nach, die das mit der Liebe nicht ganz so rosig sehen.

Ausbrechen aus diesem System, oder mitschwimmen im Schwarm? Diese Frage scheint Lisa Christ seit ihrer Jugend zu beschäftigen. Daraus schöpft sich die philosophische Kraft ihrer Kunst.

«Love*» von Lisa Christ. Nächste Aufführungen: 15./16./ 17.9. im Theater im Teufelhof, Basel. 24.9., Comedy Night, Kulm. 21.10., Bottenwil, Fabrikli. 22.10., Soorser Comedy Tage, Stadttheater Sursee. Weitere Auftritte finden Sie hier.

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